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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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Augen auf. »Ja.«
    »Okay?«
    »Du meinst, wirklich?«
    »Ich meine wirklich. Ob wir so weit sind oder nicht. Wie lange brauchst du zum Packen?«
    Sie grinste. »Bitte, bitte«, sagte sie. »Ungefähr eine Minute.«
    Er trank seine Brause mit zurückgelegtem Kopf und stieß ein langgezogenes Aaahh aus und grinste sie an. »Wäre das nicht toll, wenn wir das machen könnten?«
    »Geht es denn nicht?«
    »Natürlich nicht, du Dummerchen.«
    * * *
    Das gute Kind. Wie sollte sie Lamb nicht in sich tragen, die Wiesen und Felder, die er für sie gemalt hatte und die nun zwischen ihrem kleinen Gesicht und der Welt hingen, leuchtende Bilder in lebendigen Farben: aufblitzendes Grün und Silber, große Vögel, im Winde kreisend, die feuchten Augen eines Pferdes, gelbe Eier auf einem Frühstücksteller, ihre gekrümmten Rücken auf dem verwitterten Zaun an einem frischen blauen Morgen.
    Als das Mädchen an dem Abend, nach dem Picknick auf der Ladefläche, nach Hause kam, war es schon fast dunkel. Lamb sah zu, wie sie ins Haus ging und in dem schmutzig gelben Licht darauf wartete, dass die Stahltüren des Aufzugs sich öffneten. Sie würde mit einem mageren Jungen nach oben fahren, dessen Gesicht mit Akne übersät war. Er wohnte im vierzehnten Stock. Er trug Röhrenjeans und eine Silberkette, die vorn vom Hosenbund nach hinten geführt war. Vielleicht grinste er anzüglich und bedachte Tommie mit einem Blick, als hätte er Hunger, und sie wüsste doch bestimmt, worauf.
    »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«, würde er fragen. »Hat jemand dir ein Sieb übergestülpt und Kacke drübergeschüttet?« Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich an die Metallwand. »Ich habe eine Spezialcreme, damit kriegt man das weg. Wenn du willst, reib ich dich damit ein.«
    Tommie würde einfach vor sich hin starren, bis der Junge quer durch die Kabine spuckte, zur eingedellten Stahlwand rüber, auf die Tommies Blick gerichtet war. Der gelbbraune Schleim würde langsam an der Wand runterrutschen, und Tommie würde die Augen zumachen und die Bienen und weißen Blumenköpfe sehen und die Umrisse von Garys Baseball-Mütze, die ihr ins Gedächtnis eingeritzt war.
    Ihre Mom und der Freund ihrer Mom würden auf der neuen Couch sitzen und fernsehen, zwei fettverschmierte Teller mit Spuren von Salz und Pfeffer vor sich auf dem Couchtisch. Der Freund – nennen wir ihn Jessie – würde sich umdrehen, sobald Tommie die Tür mit ihrem Schlüssel aufmachte.
    »Wo warst du?«
    »Bei Jenny.«
    »Deine Mutter hat da gerade angerufen.«
    »Ich bin einen Umweg gegangen.« Das Haar würde ihr in Strähnen über die Schultern fallen, und in dem schwachen Licht hätte ihre Haut einen grauen Schimmer.
    »Es ist gefährlich, wenn du allein im Dunkeln draußen bist, Baby«, würde ihre Mutter von der Couch her sagen.
    »Okay.«
    »Was soll das heißen, okay?«, würde Jessie fragen, und die Mutter würde ihren schweren Kopf mühsam von Jessies Schoß heben.
    »Ich mach es nicht wieder.«
    Sagen wir, sie stünde da und sähe ihnen zu, wie sie auf den Bildschirm guckten. Zwei Minuten. Drei Minuten. Niemand sagte etwas.
    »Ich kenne jemanden, der ist vorm Fernseher gestorben.«
    »Unsinn.« Jessie würde sich vom Bildschirm abwenden und sie ansehen.
    »He, Baby. Komm her und sag Guten Tag.« Ihre Mutter wäresicherlich ein bisschen rundlich, weich, mollig mit kurzem Haar, und alle ihre Bewegungen wären langsam und müde. Die ganze Zeit müde. »Hast du Hunger?«
    »Es war niemand, den ich kannte«, könnte Tommie sagen und näher zur Couch kommen. »Aber jemand, von dem ich gehört habe. Der Vater von einem Lehrer.«
    »Wahrscheinlich war er alt.«
    »Da hat man es. Man stirbt, wie man gelebt hat.«
    »Wer hat dir das denn erzählt?«
    »In manchen Familien machen sie was zusammen.«
    »Tommie, deine Mutter ist müde. Sie hat den ganzen Tag für dich geschuftet. Wir sitzen hier und machen uns Sorgen und fragen uns, wo du um Himmels willen bist, und das Erste, was du sagst, wenn du reinkommst, ist, dass wir uns nicht genug um dich kümmern.« Könnte sein, dass Jessie jetzt lauter spricht, dass er den Hals ganz gerade hält, den Kopf ihr zugewandt hat, aber die Augen weiterhin auf den Fernseher richtet.
    »Komm, gib mir einen Kuss. Und dann geh duschen«, könnte Mom sagen. »Du riechst wie ein junger Hund. Wo warst du den ganzen Tag?«
    »Hab im Sandkasten gespielt.«
    »Hier gibt es doch gar keinen Sandkasten«, würde Jessie sagen.
    »Hast du
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