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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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sich ihr gegenüber auf die Ladefläche, streckte seine Beine neben ihren aus, sodass seine Stiefelspitzen bei ihrer Hüfte lagen. Er machte seine Getränkedose mit einem Zischen auf. »Ich spreche von einem hoch gelegenen, breiten Tal«, sagte er. »Okay? Sehr hoch. Tausend Meter vielleicht.«
    »Okay.«
    »Kannst du es dir vorstellen?« Er wartete und nahm einen Schluck. »Meilenweit gelbes Gras. Fast grau. Dazwischen buschige Salbeisträucher. Salbei kennst du, oder?«
    »Na klar.«
    »Gut. Stell es dir vor.« Er verstummte und nahm einen Schluck. »Und ein Haus. Ein kleines Haus, weiß gestrichen. Dann ein Streifen Dunkelgrün eine halbe Meile weg, wo Pappeln und Lärchen am Fluss stehen. Kannst du das alles sehen?«
    »Ja.«
    »Weißt du, warum das Haus eine halbe Meile vom Fluss entfernt steht?«
    »Warum?«
    »Falls es mal Hochwasser gibt.«
    »Ach so.«
    »Es gibt nur eine Straße, die alte El Rancho Road, und die ist immer noch unasphaltiert. Sie fängt hinter einem verschlossenen Viehgitter an, das man mit einem schwarzen Schlüssel aufschließen muss.«
    »Das finde ich gut.«
    »Das kann ich mir denken. Neben dem kleinen dreieckigen Haus gibt es eine Werkstatt mit einem Holzofen und einemalten Radio und den alten Werkzeugen, die meinem Vater gehörten, und seinem alten Elektroschweißgerät und einer Tischsäge. Die Tiefkühltruhe ist voll mit Hot Dogs, die Kühlbox voll mit mexikanischem Bier. Auf der Werkbank steht ein großes Einmachglas mit alten Nägeln. Daneben eine kleine Dose, in der ich immer eine halbe Packung Zigaretten habe. Aber du bekommst keine ab.«
    Das Mädchen lächelte mit geschlossenen Augen, an der kalten Dose zwischen ihren Beinen lief das Kondenswasser runter. Er betrachtete ihre kleinen blauen Shorts. Puppenkleider. Er nahm mit den Augen Maß, während er sprach, ihre Arme und Schultern und Handgelenke. Mein Gott, war sie klein.
    »Hinten geht von der Werkstatt ein kleines Zimmer ab, auf dem Betonboden liegt ein bunter Flickenteppich. Weißt du, was ich meine? Ein Teppich, wie sie ihn auf dem Lande haben?«
    »Ja.«
    »Das Zimmer bleibt auch im Sommer schön kühl. Es steht ein Stockbett darin. Weiche alte Schlafsäcke liegen darauf. Neben dem unteren Bett steht ein Nachttisch aus Metall, darauf ein paar Bücher, okay? Dein Vogelbuch. Und ein Wasserglas. Im Frühling, wenn es wärmer wird, ziehen wir in dieses kleine Zimmer. Ich schlafe unten, du oben, neben dem kleinen Schiebefenster mit Blick auf den alten Wassertrog, den wir für unser zotteliges braunes Pferd haben. Und ich sage dir, Tommie, das Pferd, das wird dir gefallen. Dahinter die Straße und hohes Gras und noch mehr hohes Gras und die Wolkenschatten, die über den Boden rasen. Und ganz hinten sieht man die Berge, lila und blau, eine lange gezackte Linie vor einem blassen Himmel. Und manchmal, wenn ich von dem unteren Bett aus rufe, beugst du dich dann mit deinen runden Schultern über den Rand und lässt dein Haar runterhängen und sagst: ›Hallo, du da.‹?«
    »Na klar.«
    »Ich weiß, das tust du. Du wirst nett zu mir sein. Ich bin dann furchtbar alt und grau, und all die kräftigen Männer, die im Umkreis leben, sind in dich verliebt. Sie kommen auf ihren Motorrädern und in ihren schnittigen Autos vorbei, und sie haben schwarze glänzende Haare und gerade weiße Zähne, und sie sind groß und attraktiv. Du musst mir versprechen, dass du mit ihnen ausgehst.«
    Das Mädchen schnaubte.
    »Morgens brate ich dir Spiegeleier und bestreiche dir ein dickes Stück Brot mit Butter, und ich schneide den Schinken in Scheiben und bringe dir heißen Kakao, und du setzt dich im Nachthemd auf den Holzzaun, und ich lege dir mein Jackett um die Schultern, und wir balancieren unsere Teller auf den Knien und gucken beim Essen zu, wie die Sonne aufgeht. Und wenn ich losmuss, zur Arbeit, dann wartest du auf mich, oder? Dann sitzt du auf dem Zaun und guckst den Feldweg entlang, bis du mich nach Hause kommen siehst.«
    »Kommst du auf dem alten Pferd?«
    »Oh, du Süße. Ich bin das Pferd. Sieh mich doch an, ich bin das traurige alte Pferd. Ich schleppe mich mühsam am Straßenrand zurück. So müde. Aber wenn du dein Gesicht ganz nah an meins hältst, hier, an meinen Atem – noch näher, so, ja –, und wenn du genau hinhörst, dann kannst du mein Flüstern hören. Komm mit. Wir wollen was von der Welt haben, solange es da noch etwas gibt, was sich zu haben lohnt.«
    Sie saßen ganz still.
    »Möchtest du das?«
    Sie machte die
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