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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz
Autoren: Lynn Weingarten
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reißen kann?«
    »Ich glaube, es ist sehr leicht herunterzureißen.«
    »Haha.« Sie zupft ihre Strümpfe zurecht. »Meine Eltern sind heute Abend nicht da, also finde ich, wir sollten ein paar Leute zu mir einladen, vor allem süße Jungs, die wir kaum kennen. Denen gefällt mein Outfit bestimmt.« Sie streckt mir die Zunge heraus und lächelt. Amanda hat ein gutes Leben. Ihre Eltern lieben sich, sie hat zwei nette, lustige Brüder, mit denen sie sich gut versteht, und ein riesiges Haus voller Whirlpools und Flachbildfernseher, wo alles schön und bequem ist, weil sich jemand richtig Mühe bei der Einrichtung gegeben hat. Jemand, der sich den Luxus leisten kann, über solche Sachen nachzudenken.
    »Was ist mit Eric?«, frage ich. Eric ist Amandas Quasi-Freund, und quasi nur deshalb, weil er sich nicht davon abbringen lässt, auch mit anderen Mädchen auszugehen.
    »Mit Eric bin ich fertig«, sagt Amanda.
    »Gut«, nicke ich.

    Wir wissen beide, dass das nicht stimmt, halten uns aber nicht länger bei dem Thema auf.
    »Ich habe dir auch schon was ausgesucht«, sagt Amanda eifrig. Sie greift nach meiner Hand und führt mich zum Hinterzimmer, wo wir immer Klamotten anprobieren. »Gut, dass Morgette reich ist«, grinst sie, als wäre ihr nicht klar, dass das auch auf ihre eigene Familie zutrifft. Morgette, die Besitzerin von Attic, fährt im Sommer schon freitagmorgens übers Wochenende in ihr Landhaus und gibt Amanda immer den Ladenschlüssel, damit sie zumachen kann. Das bedeutet, dass Amanda und ich uns alle Klamotten leihen können, die wir wollen, solange das Zeug Montagmorgen wieder im Laden hängt. Die Kleider sind schon getragen, also tun wir nichts Unrechtes – wir tragen sie nur ein bisschen mehr ein.
    Während ich mich umziehe, erzähle ich Amanda von den interessanteren Kunden, die heute im Café waren. Der Typ mit der entrahmten Milch, die Frau mit dem pseudo-britischen Akzent, das Mädchen, das bestellen musste, während ihr Freund an ihrem Ohr herumknabberte. Amanda lacht an den lustigen Stellen und verdreht bei den schrägen Stellen die Augen. Die zwei Schwestern erwähne ich allerdings nicht. Amanda ist meine beste Freundin, aber auch ihr kann ich nicht alles erzählen.
    Ein paar Minuten später stehe ich in einem winzigen weißen Jungenhemd vor dem Spiegel (die Ärmel reichen mir gerade bis zum Ellbogen). Dazu trage ich einen breiten Goldgürtel und einen schwingenden weißen Rock mit Goldlamé-Fäden. Er reicht mir gerade bis unter den Po.
    Ich starre mein Spiegelbild an.

    Amanda steht hinter mir. »Schau nicht so grimmig«, sagt sie zu meinem Spiegelbild. »Du siehst superheiß aus, wie immer.«
    »Haha«, murmele ich und verdrehe die Augen.
    Ich habe keinen Schimmer, ob ich gut aussehe, egal, wie lange ich in den Spiegel starre. Aber das geht wahrscheinlich den meisten Menschen so.
    Ich bin nicht besonders groß, aber auch nicht außergewöhnlich klein, schlank, aber definitiv nicht dürr. Ich habe lockiges Haar, das mir über den Rücken fällt. Es ist hellbraun und wird im Sommer blonder. Mein Friseur nennt es immer »üppig und wundervoll«, will mir dann aber immer Stylingprodukte verkaufen, die es »zähmen und definieren« sollen. Ich kaufe nie etwas, aber das ist in Ordnung, denn meistens trage ich einen Pferdeschwanz. Wenn ich nervös oder verlegen bin, kriegt mein Gesicht rote Flecken, aber ansonsten ist meine Haut in Ordnung, finde ich. Meine Augen sind groß und grün, meine Nase ziemlich rund. Ich habe ein Grübchen. Auf Fotos sieht mein Lächeln immer schief aus.
    Amanda wirft mir ein paar goldene Riemchensandalen zu, die aussehen, als kämen sie aus dem Kostümfundus einer griechischen Tragödie.
    »Zieh die mal an«, befiehlt sie.
    Ich setze mich und ziehe meine Schuhe aus. Neben mir steht ein Orangenkarton mit einem grün-orangenen Schriftzug.
    »Was ist da drin?« Ich klopfe auf den Karton.
    »Heute ist Trödeltag«, sagt Amanda. »Am dritten Freitag
im Monat kauft Morgette den Leuten ihren Schrott für fünfundzwanzig Cent das Pfund ab.«
    »Nimmt sie alles?«, frage ich. »Auch alte Bananen und abgelaufene Vitamintabletten?«
    »Wahrscheinlich verkaufen ihr genug Leute versehentlich Erstausgaben und Familiensilber, so dass es sich trotzdem lohnt«, sagt Amanda achselzuckend.
    Ich setze mich auf den Boden und wühle in dem Karton. Eine Tüte mit drei Plastikspinnen, drei ungeöffnete Gewürzgläser mit Nelken, eingetrocknete Knetmasse und am Boden des Kartons ein Buch ohne
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