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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz
Autoren: Lynn Weingarten
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Mutter in den Hörer. Ihre Stimme klang merkwürdig, als würde sie den Kopf unter Wasser halten.
    »Nein.« Pause. »Nein, habe ich nicht.« »Ich weiß nicht.« Pause. »Nina gehört nicht zu den Mädchen, die ihrer Mutter sagen, wo sie sind.« Pause. »Hör auf, hier anzurufen.«
    Dann legte sie auf. Lange Zeit saß sie unbeweglich auf dem Bett. Das Telefon lag in ihrem Schoß und beinahe lautlos strich sie sich mit bebenden Schultern immer wieder übers Gesicht.

Kapitel 5

    Ich sitze auf dem Boden von Attic und versuche, keinen Muskel zu bewegen. Irgendwie erscheint mir das nötig und wichtig, auch wenn ich nicht weiß, warum. Vielleicht, weil ich weiß, wie zerbrechlich alles sein kann und ich Angst habe, der Moment könnte wie eine Seifenblase zerplatzen, wenn ich mich bewege. Ich will nicht feststellen müssen, dass ich mir alles nur eingebildet habe. Ich habe Angst, gleich nur noch irgendwelche Kritzeleien zu sehen, oder vielleicht ein leeres Blatt. Das ist mir schon früher passiert… Ich sah überall Zeichen, die alle ins Leere führten. Aber ich habe zu lange auf diesen Augenblick gewartet, um ihn jetzt zu ignorieren.
    Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, bis Amanda sagt: »Ach du Scheiße.« Ich schaue auf.
    In meinem Kopf jagen so viele Fragen durcheinander und jede will als Erste in Worte gefasst werden. Ich zwinge mich, tief Luft zu holen, denn obwohl ein Teil von mir darauf brennt, sofort loszulegen, will ein anderer Teil von mir diesen Augenblick verlängern und ihn festhalten. Im Moment ist noch nichts von dem passiert, was gleich geschehen wird, und ein paar Sekunden Vielleicht sind so viel besser als ein
endlos langes Nein . Aber ich kann nicht länger warten, also hole ich noch einmal tief Luft und sage: »Und was jetzt?«
    Ich weiß nicht einmal, wen ich frage.
    Ich schaue wieder auf Ninas Zeichnung, auf mein eigenes Gesicht. Dann drehe ich die Karte um. Auf der anderen Seite ist eine Kreditkarte aufgedruckt, oben steht Bank of USA , daneben ist ein kleines blau-weißes Symbol und ein freies Feld: Name bitte hier eintragen steht in Schreibmaschinenschrift unter einer falschen Nummer. Ich drehe die Karte wieder um.
    Und dann entfährt mir ein Keuchen, denn zum ersten Mal, seit meine Schwester vor zwei Jahren verschwunden ist, weiß ich genau, was ich als Nächstes tun muss . In die Reben neben meinem Gesicht ist eine Telefonnummer eingearbeitet. 303-555-6271 . Ich weiß, dass die Nummer die ganze Zeit dort war und ich sie nur nicht bemerkt habe, aber ein Teil von mir glaubt, dass sie erst jetzt aufgetaucht ist, durch reine Willenskraft erschaffen, weil ich sie mir so sehr gewünscht habe.
    »Das Telefon«, sage ich. »Gib mir das Telefon.«
    Amanda holt das Telefon von Morgettes Schreibtisch und reicht es mir.
    Irgendwie schaffe ich es, die Nummer einzutippen.
    Jemand hebt ab. Zuerst höre ich laute Musik, eine Gitarre, ein dumpfes Schlagzeug, dann eine Sekunde später ein »Hallo?« Ein Typ. Südstaatenakzent.
    »Hi.« Mein Herz hämmert.
    »Selber hi.« Ja, aus den Südstaaten. Er klingt amüsiert.
    »Hallo.« Mein Mund ist auf einmal eingefroren.
    »Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Ich hätte das planen sollen.
    »Kennst du ein Mädchen namens Nina Wrigley?« Meine Worte überschlagen sich. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich ihren Namen sage, und mir wird bewusst, dass ich ihn schon sehr lange nicht mehr laut ausgesprochen habe.
    Pause. »Wie bitte?« Jemand hat die Musik im Hintergrund leiser gedreht.
    »Nina Wrigley.«
    Er sagt nichts. Ich schließe die Augen. »Kennst du sie?« Ich halte den Atem an. Ich will nicht, dass er zu schnell antwortet. Ich will noch eine Sekunde seliges Unwissen, in der ich hoffen darf.
    »Sollte ich das?« Der Typ klingt misstrauisch, als wollte ich ihn reinlegen.
    »Sie hat deine Telefonnummer auf ein Stück Papier geschrieben, vielleicht schon vor längerer Zeit. Du hast sie also irgendwann kennengelernt. Erinnerst du dich nicht?«
    »Tut mir leid, Süße.« Er lacht schnaubend. »Wenn ich mich an jedes Mädchen erinnern würde, das meine Telefonnummer hat, dann hätte ich in meinem Gehirn nicht einmal mehr Platz dafür, mir zu merken, dass man sich nach dem Kacken den Hintern abwischt.«
    Mein Herz beginnt den langsamen Weg in meine Kniekehlen. »Du lernst sicher eine Menge Leute kennen, aber an sie erinnern sich eigentlich alle. Sie ist sehr hübsch, ungefähr eins siebzig groß, die Haare immer in Knallfarben gefärbt.«
    Er
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