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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz
Autoren: Lynn Weingarten
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EURE ERINNERUNGEN
ÜBRIG SEIN.
FREITAG, 27. JUNI, VON DER DÄMMERUNG
BIS ZUR GÖTTERDÄMMERUNG

Kapitel 6

    Wir hören die Party schon lange, bevor wir sie sehen. Das Hämmern der Musik, der Klang Hunderter menschlicher Stimmen. Aus der Ferne klingt es wie eine ganz normale Party, bis auf das ohrenbetäubende Krachen, das von Jubelschreien gefolgt wird.
    Amanda und ich laufen einen riesigen Hügel hinauf, der von allen Seiten von Wald umgeben ist, der sich bis an die Straße erstreckt und droht, die unzähligen Autos zu verschlingen, die dort geparkt sind. Dieser Teil der Stadt ist nur zehn Meilen von Amandas Haus entfernt, aber es ist eine völlig andere Welt. Die Häuser hier sind riesig und liegen weit auseinander. Alle sehen uralt, aber perfekt erhalten aus, als existiere dieser Ort außerhalb unserer Zeit. Hinter uns ist es stockdunkel, vor uns blinken winzige Lichtpunkte wie Glühwürmchen auf. Es sind Handy-Displays und die Glut brennender Zigaretten.
    »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, fragt Amanda.
    »Es sind bestimmt eine Menge Jungs auf der Party!«, sage ich. Ich klinge so erbärmlich flehend, dass ich mir beinahe selbst leidtue. Doch dann schlucke ich mein Selbstmitleid
hinunter, denn Selbstmitleid ist dumm. Und komplett unproduktiv.
    »Bitte, bitte, bitte«, fleht sie. »Bitte mach dir keine Hoffnungen, okay?«
    Ich weiche ihrem Blick aus. Dann schaue ich sie an und schenke ihr ein halbherziges Lächeln, und sie schüttelt kaum merklich den Kopf, denn wir beide wissen, dass es dafür längst zu spät ist.
    Zu unserer Linken steigen zwei Mädchen aus einem verbeulten grünen Auto aus. Eine hat kurzes, weiß gefärbtes Haar und trinkt aus einer Flasche mit einer violetten Flüssigkeit. Sie trägt Shorts aus Silberlamé und ein silbernes Bikinioberteil. Das Outfit wird durch silberne Drachenflügel vervollständigt, die aus ihrem Rücken in Richtung Himmel wachsen.
    Das andere Mädchen sucht irgendetwas auf dem Rücksitz, ihr Gesicht wird von ihrem dichten schwarzen hochgesteckten Haar verborgen. Sie trägt etwas, das wie ein Top aus Gummi aussieht. Es endet kurz unter ihrem Po. Dazu hat sie Netzstrümpfe und riesige schwarze Stiefel kombiniert.
    »Komm schon, Freshie«, sagt das weißhaarige Mädchen. Ihre Stimme ist klar und melodisch, es ist leicht, sich vorzustellen, wie sie singt. »Meine hellseherische Begabung sagt mir, dass dein Freund so kurz davor ist«, sie hält Daumen und Zeigefinger übereinander, obwohl Freshie sie nicht sehen kann, »sich auf ein anderes Mädchen zu stürzen. Wenn du dich nicht beeilst, dann hängt jemand anderes an seiner Zunge, wenn wir dort ankommen.«
    »Dann nutz deine hellseherischen Fähigkeiten dazu, ihm
zu sagen, dass er seine Zunge hinstecken kann, wo er will«, lacht Freshie. »Seine Zunge gehört ihm. Mir gehört DAS HIER !« Sie steht auf und hält plötzlich einen riesigen Vorschlaghammer in der Hand, dessen Griff so dick ist wie ihr schlanker Arm. »Abrisszeit, Baby. Los geht’s!«
    »Moment!« Die Weißhaarige greift nach unten und zieht eine winzige Digitalkamera aus ihrem Stiefel. »Entschuldigung! « Sie sieht mich an. »Könntest du ein Bild von mir und Freshie machen?« Sie hat den Kopf fragend zur Seite gelegt. Ihre leuchtend grünen Augen sind schwarz und silbern umrandet. Sie hält mir ihre Kamera entgegen.
    »Klar«, sage ich. Ich nehme die Kamera und spüre, wie ich im Dunkeln erröte, weil sie mich dabei erwischt haben, wie ich sie anstarre. Es scheint ihnen aber nichts auszumachen.
    Freshie kommt zu ihrer Freundin und legt den Arm um sie.
    »Cheese«, sage ich. Sie lächeln umwerfend. Genau solche Mädchen hätte Nina als Freundinnen gehabt. Es blitzt. Im letzten Moment reißt Freshie den Mund weit auf und leckt ihrer Freundin über die Backe. Die bricht in lautes Gelächter aus.
    Ich gebe dem weißhaarigen Mädchen die Kamera zurück.
    Mein Herz klopft laut.
    »Hey«, sage ich. »Kann ich euch was fragen?«
    Ich nehme das Foto aus der Tasche, das ich immer bei mir trage. Es ist ein Schnappschuss von Nina, den ich kurz nach ihrem Verschwinden in ihrem Zimmer gefunden habe. Es ist mein Lieblingsbild von ihr. Ich weiß nicht, wer es gemacht hat, aber die Art, wie sie in die Kamera schaut, breit lächelnd,
mit leuchtenden grünen Augen, lässt mich vermuten, dass sie sich gemeinsam mit der Person hinter der Kamera gerade bestens amüsiert. Wenn ich das Bild anschaue, tue ich manchmal so, als sei ich diese Person.
    Ich zeige Freshie
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