Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock
Autoren: Jon Mayhew
Vom Netzwerk:
herauf. »Wo steckst du, Mädchen?«
    »Ich komme«, rief Josie. Leise fluchend schob sie die Papiere unter ihr Kopfkissen. Das Tagebuch würde warten müssen.
    Josie lag im Bett. Draußen im Flur ertönte ein dumpfes Geräusch, als würde etwas auf dem Boden herumhüpfen. Sie zuckte zusammen, wurde jedoch nicht richtig munter. Nach den Anstrengungen des Tages – bohnern, schrubben und putzen – hatte selbst die Neugier auf das Tagebuch sie nicht wach halten können. Irgendwann war sie in einen dunklen, unruhigen Schlaf gesunken. Nun kratzte etwas leise von außen an der Tür.
    Kratz, scharr.
    Josie rieb sich die Augen, strich sich das Haar aus dem Gesicht und stand taumelnd auf. Die Dielen unter ihren Füßen waren eiskalt.
    Kratz, scharr.
    Vorsichtig öffnete sie die Tür. Der Flur lag im Dunkeln, aber davor zeichnete sich ein noch dunklerer Schatten ab. Auf dem Treppengeländer hockte eine riesige schwarze Krähe. Sie war unglaublich groß, sogar noch größer als Josie, mit hinterhältig funkelnden Knopfaugen, einem langen gebogenenSchnabel und zerzaustem schwarzem Gefieder. Sie legte den Kopf schief und spähte zu ihr herüber, und ihre Krallen machten
klick, klick, klick
, als sie auf dem Geländer langsam näher rückte.
    Josie schnappte nach Luft. Ihr Mund war trocken. Sie wollte schreien, bekam jedoch keinen Ton heraus. Wie gelähmt stand sie da, und das Herz hämmerte ihr gegen die Rippen. Der Vogel kam immer näher und reckte den Kopf. Entsetzt floh Josie zurück in ihr Zimmer, knallte die Tür zu und schob zitternd den Riegel vor. Dann sprang sie ins Bett und vergrub sich unter der Decke.
    Sie versuchte, ruhig zu atmen. Was
war
das? Irgendeine Kreatur der Tanten, die sie bewachen sollte? Die Augen des Vogels waren ihr erschreckend vertraut vorgekommen: schwarz und voller Bosheit. Josie erschauerte bei der Erinnerung.
    Kein Gehämmer an der Tür. Die Kreatur versuchte nicht hereinzukommen. Aber immer wieder ertönte das leise Scharren, bei dem Josie zusammenzuckte und die Bettdecke fester um sich zog.
    »Ich kann hereinkommen, wann immer ich will«, schien das Geräusch spöttisch zu verkünden. »Du glaubst vielleicht, du bist in Sicherheit, aber ich kann hereinkommen.
Wann immer ich will

    Josie beobachtete die verschlossene Tür und wagte kaum sich zu rühren. Es würde eine lange Nacht werden.
    Am Morgen lag Josie immer noch zusammengekauert in ihrem Bett, schwitzend und zitternd. Doch das Tageslicht machte sie mutig. Sie lauschte.
    Stille.
    Vorsichtig schob sie den Riegel zurück und öffnete die Tür einen Spalt.
    Auf dem Treppengeländer war nichts.
    Hatte sie geträumt? War das Ganze nur ein dummer Albtraum gewesen?
    Die Tanten saßen schweigend da, als Josie ins Wohnzimmer kam, und starrten sie über den Rand ihrer Teetassen hinweg an. Cardamoms Sessel war leer, nur ein plattgedrücktes Kissen zeugte von seiner Anwesenheit am Abend zuvor.
    »Der arme Mann«, sagte Tante Veronica und legte den Kopf schief. Josie sackte das Herz in die Hose. Was war passiert?
    »Er ist heute Morgen nicht aus dem Bett gekommen«, fuhr Tante Veronica fort. »Vollkommen geschwächt.« Das letzte Wort klang vorwurfsvoll, als wäre Cardamom selbst schuld an seiner angeschlagenen Gesundheit. Josie wandte sich zur Tür. Sie musste nach ihm sehen.
    »Nein, lauf jetzt nicht nach oben, meine Liebe«, sagte Tante Jay und versperrte ihr den Weg. »Er braucht etwas zu essen. Ein wenig geröstetes Brot und einen Schluck warme Milch. Sei ein Engel und kümmere dich darum, ja?«
    »Und dann muss er sich gründlich ausruhen«, fügte Tante Mag lächelnd hinzu. Ihre Augen funkelten. »Wir haben schon eine Nachricht zum Erato geschickt. Ich glaube kaum, dass er in nächster Zeit auftreten wird.«
    »Wir haben gesagt, er hat vielleicht das Fieber«, sagte Tante Jay. »Seltsam, dass ein einfaches Wort wie ›Fieber‹ die Leute davon abhalten kann, jemanden zu besuchen.«
    Josie brannten Tränen in den Augen, als sie zur Küche ging.
Ich werde nicht vor diesen Frauen weinen
, schwor sie sich und ballte die Fäuste. Aber sie musste auf jeden Fall hinausgehenund Hilfe holen. Während sie Cardamom etwas zu essen machte, dachte sie angestrengt nach.
    »Bestimmt weiß Gimlet, was zu tun ist«, murmelte sie. »Vielleicht kommt er ja mit, um nach Cardamom zu schauen. Dann sieht er, was hier los ist.« Doch sie wusste, dass die Aussichten dafür schlecht standen. Er war so mit seinen Kulissen beschäftigt, dass er Cardamoms Abwesenheit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher