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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock
Autoren: Jon Mayhew
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Mag und bohrte ihm ihren knochigen Finger in die Brust. »Deine lange verschollenen Tanten!«
    »Warum hast du uns nicht geschrieben?« Tante Jay trat auf ihn zu.
    »Wir dachten schon, du wärst tot«, rief Tante Veronica und drängte Cardamom zurück zu seinem Sessel.
    »Wie kannst du uns so vernachlässigen«, zwitscherte Tante Mag.
    »Tanten? Wer sind Sie? Was um alles in der Welt …?« Cardamom warf Josie einen verwirrten Blick zu. Hinter der Mauer aus Schwarz, die sich vor ihm aufgebaut hatte, war er kaum noch zu sehen.
    »Nun zerbrich dir nicht den Kopf mit lauter Fragen!«
    »Keine Sorge, wir sind gekommen, um uns um dich zu kümmern!«
    Panik durchzuckte Josie. Sie sprang vor und sah gerade noch, wie eine von ihnen Cardamom in den Handrücken kniff. Er stieß einen Schrei aus, und unter seiner Haut breitete sich ein schwarzer Fleck aus, drohend wie eine Gewitterwolke.
    »Was? Was haben Sie …?« Cardamoms Augen verdrehten sich, und er schwankte leicht, als wäre ihm schwindlig. Josie hätte am liebsten die Tanten weggeschubst, aber sie waren Erwachsene, und noch dazu ziemlich unheimliche.
    Als die Tanten schließlich beiseitetraten, hing der Große Cardamom verwirrt und benommen in seinem Sessel.
    Irgendetwas Schreckliches ist gerade passiert
, dachte Josie.
Was ist das für eine Wunde an seiner Hand?
    »So, das wäre geklärt. Ich mache uns einen Tee«, verkündete Tante Jay lächelnd. »Josie zeigt mir, wo alles ist, nicht wahr, Liebes?«
    Josie sah zu ihrem Vormund, dem der Kopf auf die Brustgesunken war. Dann blickte sie unschlüssig zu der kleinen Tante, die sie anstrahlte.
    Cardamom hob mühsam den Kopf. Seine Augen wirkten leer. »Ja, Tee, Josie. Das wäre … schön.«
    Tränen brannten in Josies Augen. Hilflos ließ sie sich von Tante Jay in den Flur hinausführen.
    In der Nacht machte Josie kein Auge zu.
    »Geh du nur auf dein Zimmer«, hatte Tante Mag gesagt und ihre lange Hakennase gekräuselt. »Wir kümmern uns um Edwin.«
    »Nicht nötig«, hatte sie mit gezwungenem Lächeln erwidert. »Ich bleibe bei ihm.« Dann hatte sie den Blick zu Boden gesenkt und darauf gewartet, dass die grässlichen Tanten sich zurückzogen. Auf keinen Fall würde sie Cardamom mit diesen Ungeheuern allein lassen. Nun saß sie neben dem Sessel, in dem ihr Vormund zusammengesunken schlief.
    Als sich die Morgendämmerung hinter den schmutzigen Fensterscheiben abzeichnete, sah Josie hinaus auf die Straße. Draußen waren die ersten Leute unterwegs. Am liebsten hätte sie gegen die Scheibe gehämmert und die vorübergehenden Nachbarn um Hilfe gerufen, aber was würden die schon tun? Nur neugierig herüberstarren oder kopfschüttelnd weitergehen. Die Leute schauten sich den Großen Cardamom zwar gerne auf der Bühne an, aber im normalen Alltag hatten sie nichts mit ihm zu tun. Er lebte sehr zurückgezogen, und kaum jemand wusste überhaupt, dass er hier wohnte. Sie wandte sich vom Fenster ab.
    »Onkel!«, flüsterte sie und rüttelte an seiner Schulter. Er schrak auf und sah sie mit dunklen gequälten Augen an. »Was ist mit dir?«
    Schon kam Tante Mag zur Tür herein. »Sei vorsichtig, Josie«, schalt sie. »Dein Vormund sieht erschöpft aus. Lass ihn in Ruhe mit deinen kindischen Spielen!«
    »Aber es geht ihm nicht gut!« Josie starrte die alte Frau finster an. »Was habt ihr mit ihm gemacht?«
    »Wir? Aber meine Liebe, was redest du denn da?« Tante Mags Augen funkelten. Mit spöttischem Lächeln neigte sie den Kopf zur Seite. Die beiden anderen Tanten kamen ebenfalls herein. »Er ist nur ein bisschen angeschlagen, nicht wahr, Edwin?«
    Mühsam hob Cardamom den Kopf. »Ja … angeschlagen … weiter nichts …« Sein Blick war trüb und leer.
    »Wir haben ihn bald wieder auf den Beinen!«, sagte Tante Mag munter und zupfte an seiner Krawatte herum. »Jetzt mach uns einen Tee, und dann geh auf dein Zimmer. Wir haben wichtige Dinge mit deinem lieben Vormund zu besprechen – und zwar unter uns!«
    Josie blickte von Tante zu Tante. Dann sah sie zu Cardamom, in der Hoffnung, er möge sich gegen die drei zur Wehr setzen. Doch er starrte nur dumpf zurück. Sie wartete noch einen Moment – sie wusste selbst nicht, worauf –, dann drehte sie sich um und verließ das Wohnzimmer.
    Sie lief hinunter in die Küche, um Tee zu kochen. In ihrer Hast, nichts zu verpassen, schepperte sie mit dem Geschirr und verbrühte sich die Finger, als sie das Tablett nach oben trug. Sie ging ins Wohnzimmer, drückte Tante Mag das Tablett in die
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