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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock
Autoren: Jon Mayhew
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wie ein Kelch aus kostbaren Edelsteinen. Ein pulsierendes Licht, das an einen Herzschlag erinnerte, ließ das Rot der Blütenblätter aufleuchten.
    Mortlock hörte, wie Corvis sich fluchend durch die letzten Meter dichten Dschungels kämpfte und dann ebenfalls auf die Lichtung stürzte, kurz darauf gefolgt von Chrimes. Die beiden Männer schlossen zu ihm auf und schauten in dieselbe Richtung wie er. Niemand sprach ein Wort.
    Hoch über ihnen ertönten Vogelschreie, und aus dem Dschungel erhob sich ein fernes Knurren, doch Mortlock nahm es kaum wahr. Er konnte den Blick nicht von der schimmernden roten Blume wenden. Er spürte, wie er auf die Knie sank. Chrimes und Corvis taten es ihm gleich. Feuchtes Moos polsterte den Boden, und ein feiner Nebel schien ihm bis ins Mark zu dringen.
    »Die Amarant«, flüsterte Mortlock und sah seine Freunde an. »Wir haben sie gefunden!«
    »Sie ist wunderschön«, murmelte Chrimes. In dem roten Schimmer wirkte sein Haar wie Feuerglut. »So zerbrechlich und doch voller Macht.«
    »Macht über Leben und Tod«, sagte Corvis. »Sie ist schön, ja, aber auch irgendwie … falsch.«
    Die Zeit schien stehen zu bleiben, während Mortlock das rot leuchtende Herz der Blume betrachtete. Es pulsierte vor seinen Augen, und ihm war, als würde er in seinem überirdischen Licht baden, erfüllt von Bildern, die es in seinem Kopf erstehen ließ.
    In der Tiefe des Urwalds knackte ein Zweig.
    Mortlock erstarrte und blickte sich um. Die Schatten jenseits des roten Lichts schienen sich zu bewegen.
    »Da ist etwas.« Corvis’ dunkle Augen glühten förmlich. Ein Schauer überlief ihn.
    »Als würde uns jemand beobachten.« Chrimes starrte in die Dunkelheit. »Wie lange sind wir schon hier?«
    »Ich weiß es nicht.« Mortlock fuhr sich durch sein zerzaustes blondes Haar. Er fühlte sich, als wäre er gerade aus tiefem Schlaf erwacht, benommen und mit schwerem Kopf. »Zu lange. Seht euch den Mond an.«
    »Mein Gott«, flüsterte Corvis. Hoch über ihren Köpfen hing ein schwerer runder Mond. Als sie sich in die Oase gerettet hatten, war es glühend heißer Nachmittag gewesen.
    »Gehen wir«, sagte Mortlock und sprang auf. Sein Herz pochte.
    Im Dickicht um sie herum raschelte es. Vage Gestalten huschten durch die Schatten. Flüsternde Stimmen wehten herüber wie ein Windhauch. Ein süßlicher durchdringender Geruch nach Verwesung hing in der Luft. Zwischen den Zweigen grinste ein ausgemergeltes Gesicht hervor. Hinter ihm waren noch mehr.
    »Was in Gottes Namen ist das?«, fragte Chrimes leise. Auf seiner Stirn schimmerten Schweißperlen.
    »Ich bezweifle, dass Gott etwas damit zu tun hat«, erwiderte Mortlock mit bebender Stimme. »Ich glaube, sie bewachen die Amarant.« Er hörte, wie einer seiner Freunde leise aufstöhnte.
    Corvis rannte als Erster los, und beinahe hätte er Chrimes umgeworfen, als er in den Dschungel flüchtete. Aus dem Flüstern wurde ein gedämpftes zorniges Gemurmel. Mortlock packte Chrimes und zerrte ihn von der Lichtung.
    Dornen und Stacheln rissen ihnen Haut und Kleider auf, während sie sich durch die Vegetation kämpften. Mortlock, der mit seiner Machete auf Zweige und Ranken einhieb, hörte Corvis ein Stück vor ihnen keuchen. Chrimes folgte ihm mit ängstlich aufgerissenen Augen. Als Mortlock einen Moment den Blick senkte, sah er Gesichter von längst Verstorbenen,die ihn aus dem Unterholz anstarrten. Er stieß einen Schrei aus, und das Gemurmel der Toten schwoll zu einem erstickten Zorngebrüll an. Kalte Finger gruben sich in seine Schulter und zerrten an seinem Haar; der Verwesungsgeruch war jetzt so stark, dass er kaum noch atmen konnte. Er schlug nach den Armen, die ihn zu packen versuchten, und erschauerte, als er die trockene, eisige Haut von Leichen berührte. Keuchend stürzte er vorwärts.
Wir werden alle sterben!
, dachte er verzweifelt. Doch plötzlich lichtete sich der Dschungel, er und Chrimes wankten hinaus in die kalte Nachtluft der Wüste und ließen sich neben dem zitternden Corvis in den Sand fallen.
    Die Dämmerung brach an, obwohl es eben erst Nacht geworden war. Die drei Männer starrten auf den Dschungel, von dessen üppigem Laub Dunst aufstieg.
    »Lebende Leichen«, ächzte Mortlock.
    »Ich hatte eine Vision«, sagte Corvis leise, ohne den Blick von dem dunklen, nun wieder stillen Dschungel zu wenden. »Mein Herz war vor Grauen zu Eis erstarrt. Ich sah … Flügel, schwarze Flügel, spitze Schnäbel, Raben und Krähen …«
    »Verwesung«, flüsterte
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