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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock
Autoren: Jon Mayhew
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klein wenig indisponiert«, hörte sie Tante Jay krächzen. »Gestern Abend hat es angefangen. Ein leichtes Fieber. Ich fürchte, wir brauchen Ihre Hilfe nicht mehr.«
    »Aber er schuldet mir noch einen Wochenlohn«, murrte Mrs Yates. Josie wehrte sich verzweifelt gegen Tante Mags eisernen Griff. Sie hörte das Klimpern von Münzen.
    »Hier, ich denke, das dürfte mehr als genug sein. Und jetzt leben Sie wohl.«
    Krachend fiel die Tür ins Schloss. Tante Mag bugsierte Josie die letzten Stufen hinauf.
    »Die Haushälterin«, rief Tante Jay von unten herauf. »Ich musste sie leider entlassen.«
    »Lass mich los!«, rief Josie, befreite sich und wollte in ihr Zimmer flüchten, doch Tante Mags schwarze Knopfaugen fixierten sie mit einem so eisigen Blick, dass sie mitten in der Bewegung innehielt.
    »Wie es aussieht, fehlt uns ein Hausmädchen«, zischte Tante Mag. »Vielleicht wird dich die zusätzliche Arbeit davon abhalten, dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen.« Sie setzte ein zuckersüßes Lächeln auf, das jedoch rasch wieder verschwand. »Geh und setz den Kessel auf. Sofort!«



»Ich will hier liegen und sterben«, sprach er,
    »Ich will hier liegen und sterben.
    Und wenn alle Teufel der Hölle kommen,
    Ich will hier liegen und sterben.«
    Clerk Colvill
, altes Volkslied

4. KAPITEL

Nachtvogel
    Schweigen lastete über dem Wohnzimmer, während Josie die alten Zeitungen vom Boden neben Cardamoms Sessel aufhob. Tante Veronica saß daneben und starrte sie finster an.
    »Was tust du da?«, fragte sie und reckte misstrauisch den Kopf.
    »Ich räume nur auf.« Josie bemühte sich, ihren Atem ruhig zu halten. Sie spürte, wie ihre Hand mit den Zeitungen zitterte. »Onkel lässt immer alles herumliegen.«
    »Meinetwegen.« Tante Veronica lehnte sich wieder in ihrem Sessel zurück. Josie gestattete sich ein triumphierendes Lächeln, als sie an den anderen Tanten vorbei aus dem Zimmer ging. Zwischen den Zeitungen konnte sie einen festen Einband fühlen. Ohne sich noch einmal umzublicken, lief sie hinauf in ihr Zimmer und schloss die Tür ab.
    Sie setzte sich aufs Bett und schob die Zeitungen auseinander. Da war es – das Tagebuch. Es hatte offensichtlich schon einiges mitgemacht. Der Rücken war halb zerbröselt, und die beiden ledergebundenen Buchdeckel wurden von einem breiten schwarzen Band zusammengehalten. Das Leder des Einbands war so abgegriffen, dass es sich anfühlte wie Schmirgelpapier, und das Innere bestand aus einem Stapel vergilbter Seiten, die nur noch lose zusammenhielten.
    Auf der Vorderseite konnte Josie den Namen
Edwin Chrimes
erkennen, der in abgeblätterter Goldschrift eingeprägt war. Auf einmal machte sich ihr Gewissen bemerkbar, und sie zögerte.
Das ist privat
, ermahnte sie sich. Onkel hatte ihr verboten, darin zu lesen, aber wenn sie es nicht tat, wie sollte sie ihm dann helfen? Vorsichtig zog sie an dem schwarzen Band und löste die unbeholfene Schleife. Das Tagebuch klappte auf, und einige lose Blätter breiteten sich auf ihrer Bettdecke aus.
    Die Seiten sahen genauso aus wie der Brief, den sie am Abend zuvor gelesen hatte: zerknittert und eingerissen, mit ausgeblichener und schwer zu entziffernder Schrift darauf. Sie ließ den Blick darübergleiten und wünschte, sie hätte weniger Zeit mit Messerwerfen und mehr mit Lesen und Schreiben zugebracht. Namen, Daten, Orte – nichts davon sagte Josie irgendetwas. Seufzend blätterte sie in dem Tagebuch und faltete einige der Briefe auseinander, die zwischen den Seiten lagen. Und da war es: das Wort »Amarant«. Josie strich das Papier glatt.
    Mittwoch, 2. März 1820
    Wir haben sie gefunden. Die Amarant. Die Macht über Leben und Tod war nur eine Armeslänge entfernt, dennoch haben wir sie gelassen, wo sie war. Solche Schrecken, wie ich sie gesehen habe, dürfen niemals über dieses trügerische Wüstenland hinausdringen. Ich fürchte, unser Leben wird nie wieder dasselbe sein …
    »Die Macht über Leben und Tod«, flüsterte Josie, während sie mit dem Finger über die verblichenen Worte fuhr. Sie las weiter.
    Mein lieber Freund Mortlock traf die weise Entscheidung, trotz all unserer Bemühungen auf sie zu verzichten, aber Corvis macht mir Sorgen. Können wir wirklich darauf vertrauen, dass er die fluchbeladene Blume vergisst?
    »Freund?«, murmelte Josie. Aber hatte Mortlock nicht den Brief geschickt, in dem er Cardamom als Dieb bezeichnete? Und dann dieser andere Name, Corvis.
    »Josie?«, kreischte Tante Jay vom Fuß der Treppe
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