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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock
Autoren: Jon Mayhew
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stapfte ins Wohnzimmer.
    »Gut, der Eintopf steht auf dem Herd. Ich gehe dann jetzt«, rief sie ihm nach und zog eine Grimasse, während sie in ihren Mantel schlüpfte. Leise, sodass nur Josie es hören konnte, fügte sie hinzu: »Das wird wieder ein reizender Abend, Mädchen.«
    Der Eintopf blieb blubbernd auf dem Herd stehen und brannte nach und nach am Topf fest. Cardamom saß zusammengesunken in seinem Sessel. Whisky rann aus dem umgekippten Glas auf seinen Schoß.
    »Ich wünschte, du würdest nicht so viel trinken, Onkel«, seufzte Josie. Sanft nahm sie ihm das Glas aus der Hand. »Ich wünschte, du könntest glücklich sein.«
    Cardamom bewegte sich stöhnend, wachte jedoch nichtauf. Papiere rutschten aus seiner Hand und fielen raschelnd zu Boden. Josie biss sich auf die Unterlippe. Sie kannte sie. Er blätterte immer darin, wenn er in dieser merkwürdigen Stimmung war: alte Briefe, ein abgewetztes Tagebuch und ein kleines Porträt.
    Er hatte ihr das Bild einmal gezeigt, als sie klein war. Nun hob Josie es auf und betrachtete es erneut. Eine Frau blickte ihr entgegen. Sie trug ein Kopftuch, aber darunter wallten ebenholzschwarze Locken hervor. Ihr Gesicht war schön und fein geschnitten, und an ihren Ohren hingen große goldene Ringe.
    »Mutter«, flüsterte Josie.
    »Madame Lilly«, hatte Cardamom gesagt, als er ihr das Bild zum ersten Mal zeigte. »Eine Wahrsagerin beim Zirkus. Sie war so voller Leben, deine Mutter, und eine wahre Schönheit.« Seine Augen waren feucht gewesen. »Und eine Dame. Was für ein glückliches Haus das war, als ihr beide damals hierhergekommen seid. Sie liebte dich von ganzem Herzen.«
    Josie lächelte und versuchte sich daran zu erinnern, wie ihre Mutter sie in den Schlaf gesungen hatte. Sie war gestorben, als Josie zwei oder drei gewesen war. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihre Mutter durch dieses Zimmer tanzen, begleitet von leisem rhythmischem Gesang. War es eine Erinnerung oder etwas, das ihre Fantasie sich ausdachte, weil sie sich
wünschte
, dass es so gewesen war? Und warum hatte sie das Gefühl, etwas oder jemand fehlte auf diesem Bild? Eine dritte Person. Wer war es? Ihr Vater?
    »Er ist gestorben, als du noch ein Baby warst«, hatte Cardamom mit traurigem Lächeln gesagt. »Ich glaube, er war auch Artist. Wir haben nie über ihn gesprochen …«
    Josie konnte sich nicht an ihn erinnern. Sie seufzte. Dannfiel ihr Blick auf die übrigen Papiere. Die hatte Cardamom ihr nie gezeigt … Bilder von anderen Abenden schossen ihr durch den Kopf: der Whisky, Cardamom, wie er das Tagebuch quer durchs Zimmer schleuderte oder Seiten herausriss und sie ins Feuer warf. Sie erinnerte sich, wie sie im Dunkeln im Bett gelegen hatte, während er unten herumbrüllte, als streite er sich mit jemandem. Sie war hinuntergegangen und hatte ihn weinend über die Briefe gebeugt vorgefunden.
    »Ab ins Bett«, hatte er geschimpft, als er sie im Türrahmen erblickte. In den letzten paar Wochen war es besonders schlimm gewesen.
    Aber jetzt lagen die Papiere da auf dem Boden. Und Cardamom schlief.
    Sie bückte sich und hob den obersten Bogen auf. Es war ein Brief. Eine spinnenartige Schrift kroch über das Papier, ausgeblichen und fleckig von vielen Jahren des Zusammenknüllens und Wiederglattstreichens. Josie begann zu lesen.
    Dieb! Du hast dir genommen, was mir gehört … Ich dachte, du wärst mein Freund und ich könnte mich auf dich verlassen … wirst du mir büßen … Treffen … Hof. Die ganze Macht der Amarant …
    Unten am Ende stand der Name
Sebastian Mortlock.
Josie ließ den Brief wieder auf den fadenscheinigen Teppich fallen. Warum sollte jemand Cardamom einen Dieb nennen? Sie betrachtete ihn. Es gab so viel, was sie nicht wusste und wonach sie nie gefragt hatte. Er hatte sie und ihre Mutter aus Freundlichkeit bei sich aufgenommen. Als ihre Mutter an einem Fieber gestorben war, hatte er sich weiter um Josie gekümmert, obwohl dafür keinerlei Verpflichtung bestand.Sie verdankte ihm ihr Leben. Im Grunde genommen hatte sie außer ihm nie jemanden gehabt. Aber was wusste sie eigentlich über ihn? Es war an der Zeit, mehr herauszufinden. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Tagebuch.
    »Josie?«, grunzte Cardamom. Er riss die Augen auf. »Was tust du da? Was hast du gelesen?«
    »Nichts!« Hastig wich sie zurück, als er aufsprang und das Tagebuch an sich riss. »Ich habe nur … den Brief … Wer ist Mortlock, und warum hat er dich einen Dieb genannt?«
    So. Sie hatte die Frage
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