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Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern
Autoren: Mechtild Borrmann
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Klammert sich an ihn und hält ihn fest, wie man Dinge festhält, die einem entgleiten. Dinge, die man nicht hergeben will. Ein letztes Mal der Wunsch, er möge ihre Zweifel auslöschen.
    „Du hast damit nichts zu tun! Sag mir, dass du damit nichts zu tun hast!“
    Er zieht die Augenbrauen zusammen und schiebt seine geschwungenen Lippen vor.
    „Natürlich nicht, Mutter.“ In seiner Stimme schwingt sanfte Empörung, im Blick eine Rüge. „Wie kannst du nur so von mir denken?“
    „Ich …“, sie stammelt verunsichert. „Du bist immer so gutgläubig …“
    Steeg führt Zech zum Wagen.
    Joop bleibt noch einen Augenblick in der Tür stehen und sieht die Frau an. „Kann wohl sein, dass er morgen früh schon wieder zu Hause ist.“ Dann steigt er die Stufen hinab und folgt Steeg zum Auto.
    Warum hatte er das gesagt? Warum hatte er in solchen Situationen immer das Bedürfnis, noch was Tröstliches zu sagen?

    51
    Die Faxseiten liegen vor. Der junge Kollege in Wesel hatte ganze Arbeit geleistet. Er hatte sogar das Deckblatt der Akte kopiert. Böhm sitzt, den Kopf in beide Hände gestützt, und arbeitet sich durch den Stapel.
    Die Zeugenaussagen! Der Vater, die Mutter, die Brüder, Klassenkameraden, Lehrer, der Busfahrer, Nachbarn. Die Freundin Laila und die Mutter, Frau Sastani. Berichte über die flächendeckende Suche mit Hundestaffeln und Hubschraubern. Die Suchmeldungen, die an Presse, Radio und Fernsehen gegangen waren. Der Wust von Hinweisen, der daraufhin eingegangen war. Von Dresden bis München, überall wollten Anrufer das Kind gesehen haben.
    Zu Anfang hatten sie tatsächlich an eine Verwechslung gedacht. Zwei Tage lang hatten sie diese Möglichkeit in Betracht gezogen. Miriam war aus dem Haus ihrer Freundin gekommen. Das hatte die Theorie erhärtet. Sie gingen damals davon aus, dass die Täter, wenn sie ihren Irrtum bemerkten, das Kind irgendwo aussetzen würden. An einer Autobahnraststätte, an einem Bahnhof oder Flughafen.
    Drei Tage später war der Vater des Mädchens in den Fokus der Ermittlungen gerückt. Eine Nachbarin war im Präsidium erschienen und hatte ausgesagt, dass Wessel gegen halb zwei mit seinen Landrover durch die Straße gerast sei. Später hatte sie die Aussage zurückgezogen. Sie wäre sich wegen der Uhrzeit nicht sicher, vielleicht sei es auch halb drei gewesen.
    Böhm lehnt sich zurück, nimmt seine Brille ab und reibt sich die Augen.
    Der Verdacht blieb. Wessel hatte kein überprüfbares Alibi. Er hatte angeblich in seinem Büro gesessen und die Buchhaltung erledigt.
    Die Kollegen hatten einen möglichen Tathergang rekonstruiert. Die Ehefrau, die im Wohngebäude gewesen war, konnte ihren Mann nicht entlasten. Das Auto hatte hinter der betriebseigenen Tankstelle gestanden, vom Wohnhaus nicht einsehbar.
    Wessel hätte sich aus dem Büro entfernen können. Seine Tochter verschwand gegen ein Uhr. Er hatte für die Zeit von 11.30 Uhr bis ca. 14.00 Uhr keine Zeugen.
    Der letzte Vermerk stammt aus dem Sommer 2002. Nur eine kurze Notiz. Der Anruf von Frau Sastani. Der Hinweis auf das Auto von Simone Remmers und deren Falschaussage.
    Er schiebt das Papier zu einem ordentlichen Päckchen zusammen und sieht zum Fenster hinüber. Die letzten Gäste des Ratskellers haben sich längst auf den Heimweg gemacht. Die Stadt schläft. Eigentlich liebt er diese Ruhe, dieses Innehalten jeglicher Betriebsamkeit. Jetzt, im Sommer, ist es nur von kurzer Dauer. In drei bis vier Stunden legt der Rhythmus des neuen Tages sich mit dem ersten Licht auf die Straßen und Plätze. Beginnend mit einem Adagio steigert er sich in kürzester Zeit ins Presto.
    Heute kann er dieses Erwachen kaum erwarten. Er muss mit dem Kollegen Lohmeier telefonieren. Mit Lohmeier und mit Frau Sastani. Er muss wissen, ob Wessel etwas über den Hinweis auf das Auto gewusst hatte. Ob er den Wagen hätte ausfindig machen können.
    Eine Tankstelle, hatte im Bericht gestanden. Und der junge Kollege aus Wesel hatte sogar das Foto mitgefaxt. Die Faxkopie war unscharf, aber das Wesentliche war zu erkennen gewesen. Nur eine Zapfsäule, abgeschirmt durch eine gut drei Meter hohe Mauer. Das war ihm ins Auge gestochen. Eine Tankstelle für die firmeneigenen LKWs. Diesel!

    52
    Er sitzt immer noch auf diesem Plastikstuhl. Auf diesem unbequemen Plastikstuhl mit den Metallbeinen. Vor diesem Tisch mit einer grauen Resopalplatte. In diesem Raum ohne Fenster. Weiße Wände! Nein, keine Wände. Kunststoffplatten. Plattenwände. Unterbrochen von grauen
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