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Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern
Autoren: Mechtild Borrmann
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gesagt. Das von dem Kind!
    Und Frank hat gelogen. Das hat sie ihm angesehen.
    Frank war kein Schlechter. Es war nur … er war ihr in den letzten Jahren schwer geworden, ihr irgendwie … über den Kopf gewachsen. Die Ausbildung zum Lageristen hatte er noch geschafft, aber dann war er überall herausgeflogen. Und immer hatte er Erklärungen bereit. Die Arbeit war schlecht gewesen! Man hatte ihn nicht zu schätzen gewusst. Die Kollegen. Die Bezahlung. Immer hatte es Gründe gegeben. Nach und nach hat er sich hier eingerichtet, hat den Haushalt übernommen und sich um das Nachbarhaus gekümmert.
    Immer wieder hat sie ihn antreiben müssen, hat ihm Stellenangebote aus der Zeitung hingelegt. Hat ihn zum Fotografen geschickt, um ordentliche Bewerbungsfotos machen zu lassen, hat Bewerbungsmappen gekauft.
    Und gestern hat sie zum ersten Mal Angst um ihn gehabt. Nein! Gestern hat sie zum ersten Mal Angst
vor
ihm gehabt!
    Und vorhin? Seine Tomaten! Man konnte in letzter Zeit kein vernünftiges Wort mit ihm reden.
    Steeg hält ihr den vorläufigen Haftbefehl entgegen. „Frau Zech, wir müssen Ihren Sohn mitnehmen.“
    Sie spürt wie jetzt auch ihr gesundes Bein Schwäche zeigt. Mit der rechten Hand stützt sie ihr ganzes Gewicht auf den Stock, schiebt ihre Linke durch den Türspalt und nimmt das Papier entgegen.
    Joop gibt Steeg ein Zeichen und geht um das Haus herum auf die Rückseite.
    „Machen Sie jetzt auf!“ Steeg drückt sein Gewicht gegen die Tür. Die Frau schreit auf, gerät aus dem Gleichgewicht. Er hält sie am Arm, stützt sie für einen Augenblick ab und läuft dann an ihr vorbei ins Haus.
    „Wo ist er?“
    Frau Zech steht an die Flurwand gelehnt. Das Papier liegt vor ihr auf dem Boden. Oben, am Ende der Treppe steht Frank Zech, nur mit einer Boxershorts bekleidet.
    Steeg läuft die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
    „Herr Zech, ziehen Sie sich was an und packen Sie Waschzeug ein. Wir nehmen Sie mit.“
    Frank Zech blickt hinunter zu seiner Mutter. Sie hat den Kopf gesenkt, starrt das Papier auf dem Fußboden an. Steeg belehrt ihn über seine Rechte.
    Langsam geht Frank Zech in sein Zimmer zurück und will die Tür schließen. Steeg schlägt die flache Hand gegen das Türblatt. „Oh nein. Ich bleibe bei Ihnen.“
    Joop kommt ins Zimmer. Er nickt Frank Zech zu.
    Während der unter Achim Steegs wachsamem Blick seine Jeans und ein T-Shirt überzieht, sieht van Oss sich um. Der Durchgang zum Balkon steht offen. Er tritt hinaus.
    Der schwache Lichtschein des Zimmers beleuchtet Wände aus wildem Wein. Wie Schießscharten sind zu allen Seiten schmale Fenster hinein geschnitten. Ein Zimmer. Ein gewachsenes Zimmer. Ein Stativ mit einem Fernglas ist vor einem dieser Beobachtungsschlitze angebracht. Joop sieht hindurch. Er kann nicht viel erkennen.
    Ein klarer Sternenhimmel, der sich weit über die Ebene wölbt. Über die Ruine von Horstmanns Haus hinweg und weiter über Wiesen und Felder. Immer weiter, bis alle Unterschiede sich auflösen, bis nicht mehr zu erkennen ist, ob die Lichter in der Ferne Sterne oder beleuchtete Fenster sind.
    Frank Zech hat schweigend eine Kulturtasche und Ersatzwäsche in einer Sporttasche verstaut. Er schweigt.
    Das hat er genau gewusst. Er hat genau gewusst, dass diesem Steeg nicht zu trauen war. Aber er muss jetzt ganz ruhig bleiben. Er hat den Männern nicht „Guten Abend“ gesagt. Das war nicht höflich gewesen, da muss er drauf achten. Er muss höflich bleiben. Auch wenn die sich schlecht benehmen und einfach in sein Zimmer eingedrungen sind. „Alles, was Sie sagen kann gegen Sie verwendet werden“, hat der Steeg gesagt. Er wird nichts sagen. Mutter wird einen Anwalt rufen. Das hat sie gestern gesagt. Solange wird er nicht sprechen. Aber dann wird er ihnen die Wahrheit sagen. Die Wahrheit über Horstmann und Grefft. Aber er muss aufpassen. Aufpassen, dass sie ihm die Worte nicht im Munde umdrehen.
    Bevor sie die Treppe hinuntersteigen, greift er in das Regal neben dem Durchgang zum Balkon. Seine Arbeitsaufzeichnungen. Die muss er auf jeden Fall dabei haben.
    Frau Zech steht immer noch im Hausflur. Steeg bückt sich und nimmt das Papier wieder an sich.
    Sie sieht ihren Sohn fragend an.
    „Dauert nicht lange“, lächelt er sie an. „Rufst du jetzt einen Anwalt?“
    Sie zweifelt. Sie zweifelt an ihm. Sie zweifelt an ihrem Misstrauen gegen ihn.
    „Morgen früh“, sagt sie. „Wo soll ich um diese Zeit einen Anwalt herbekommen?“
    Sie greift nach seinem Arm.
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