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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns
Autoren: J Douaihy
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sagen, seine Koffer seien auf einem der drei Flughäfen verlorengegangen.
    In jener Nacht fühlte er sich außerstande, in seine Wohnung zu fahren, sofort wieder von all seinen Besitztümern umgeben zu sein. Er stieg in einem kleinen Hotel ab. Nachdem er einen kurzen Blick in sein Zimmer geworfen hatte, verspürte er das Bedürfnis nach einer Tasse Kaffee. Er setzte sich in die leere Hotelhalle. Nur ein junger Mann saß an der Rezeption, der aus Langeweile eine Unterhaltung mit ihm begann. Er erzählte, er arbeite hier, um sein Studium der Journalistik zu finanzieren, und sei im letzten Studienjahr. Und wieder gingen mit Elia die Pferde durch. Eine plötzliche Eingebung, derer er sich nicht erwehren konnte, zwang ihn zu behaupten, er sei bereit, dem jungen Mann einen Job beim »Baltimore Observer« zu vermitteln. Den hatte er ganz plötzlich aus dem Ärmel geschüttelt. Der Chefredakteur für Regionales, Alfred Prescott – er kannte zwar jemanden, der sich Alfred Prescott nannte, aber das war ein zweitklassiger Korrespondent für eine andere Zeitung, der außerdem von der Wall Street berichtete –, sei einer seiner besten Freunde. Aber, setzte er hinzu, der junge Mann von der Rezeption – dessen Namen er noch nicht einmal kannte – müsse selbstverständlich erst einmal seine Eignung unter Beweis stellen und die Redaktion von der Qualität seiner Texte überzeugen. Er werde seinen Freund gleich morgen anrufen, und er selbst, Elia, werde ihm einige spezielle Tipps für das Verfassen von Zeitungsreportagen geben, die man nicht in einem Institut erlernen könne, sondern die aus seiner eigenen journalistischen Erfahrung stammten. Elia beendete sein Geflunker mit den Worten, er sei gerade von einer Reportagereise in den Nahen Osten zurückgekehrt, habe aber seine Aufzeichnungen dort vergessen und setze nun alles daran, sein Notizbuch wiederzubekommen, in dem er die Geschichte eines Massakers aufgezeichnet habe, dass vor vierzig Jahren in einer Kirche stattgefunden habe … Erst das Klingeln des Telefons konnte Elias Wortschwall stoppen. Der junge Hotelangestellte wandte sich von ihm ab, jedoch nicht ohne zu versichern, dass er auf sein Angebot zurückkommen werde …
    Erst als die Morgendämmerung ihr erstes Licht verbreitete, schlief Elia ein. Die ganze Nacht hatte er sich im Bett gewälzt. Die Straßengeräusche und Nachtlichter durchfluteten das Zimmer. Die Aufregung während seiner eintägigen Reise über drei Kontinente hinweg hatte ihn erschöpft und ließ ihn ganz plötzlich in eine tiefe Schwermut fallen. Er vergrub seinen Kopf in dem hohen Kissen und kämpfte dagegen an, bis er endlich in einen traumlosen Schlaf fiel. Gegen Mittag wurde er vom Anruf eines Hotelangestellten geweckt, der sich, wie er sagte, stets nach dem Wohl der Gäste erkundige, die ihre Zimmer ungewöhnlich spät verließen. Es war eine andere Stimme als die des Angestellten vom Vorabend; dessen Schicht war wohl vorbei. Elia war erleichtert, ihn nicht mehr treffen zu müssen und so der nächtlichen Verpflichtung entledigt zu sein, die er sich selbst aufgebürdet hatte. Er ging in die Hotelhalle hinunter und warf einen Blick durch das breite Fenster. Am liebsten wäre er sofort wieder in sein Zimmer zurückgekehrt und dort geblieben, er scheute die Konfrontation wie der reisende Protagonist eines Science-Fiction-Romans, den er einmal gelesen hatte, in dem jener in einer Stadt außerhalb der Zeit hängenbleibt und diese dann nicht wieder verlassen kann.
    Einige Hotelgäste gingen hinaus, andere kamen herein, eine Frau mit ihrer Tochter, ein älterer Herr, ein junger Schwarzer. Elia setzte sich einen Moment hin, nahm sich die Zeit, um einen kurzen Brief zu schreiben, eine besondere Geste, mit der er seine letzte Freundin Heather Pollock überraschen wollte. Sie war die Tochter des Predigers Henry Pollock junior, der durch seine Reden anlässlich des kommenden dritten Jahrtausends, die ein regionaler Fernsehsender live übertragen hatte, bekannt geworden war. Er konzentrierte sich, versuchte sich daran zu erinnern, was er ihr jemals gesagt hatte, welche seiner Worte ihre Augen vor Freude hatten leuchten lassen. Zuerst wies er sie darauf hin, dass sein Brief sie per Post erreichen werde, mit einer Briefmarke darauf, wie in längst vergangenen Zeiten. »Heute wirst du etwas anderes als Werbung für Sonderangebote und Abonnementangebote für Modezeitschriften in deinem Briefkasten finden, die du so schnell wie möglich in den nächstbesten
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