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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns
Autoren: J Douaihy
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internationaler Küche, der nicht in der Lage war, einen Eierkuchen zu backen. Er hatte eine aufregende Kindheit, aber niemand glaubte, dass er tatsächlich der Sohn dieses Vaters war. Man führte seinen Ursprung auf verschiedene andere Männer zurück, bis er schließlich nur noch mit seiner Mutter in Verbindung gebracht wurde, was in ihre und in seine Seele eine schmerzhafte Wunde schlug. Als seine Mutter ihn nicht mehr in ihrer Nähe ertragen konnte, schickte sie ihn auf Reisen, und so gelangte er bis ans Ende der Welt. Dort erzählte er den Menschen, die er traf, verschiedenste Märchen über seine Vergangenheit, die niemand glaubte. Und jetzt, in diesem Moment, fliegt er zum letzten Mal die Strecke nach New York, seinen von der Last der Thora schweren Namen und seine vor Legenden überquellende Vergangenheit im Gepäck. Zum ersten Mal in seinem Leben versucht er, einer blonden Amerikanerin die Wahrheit über sich und seine Familie zu erzählen, und sie hört ihn nicht …
    Kaum hatte Elia zu sprechen aufgehört, öffnete Susan vorwurfsvoll die Augen:
    – Warum haben Sie aufgehört zu reden? Ich habe Ihnen gerne gelauscht … Ich interessiere mich zwar nicht besonders für Geschichten von Müttern und Vätern und Söhnen, aber es ist schon so lange her, dass mir jemand eine Geschichte erzählt hat, während ich zwischen Wachen und Schlafen schwebe …
    – Es ist keine Geschichte …, entgegnete Elia nach kurzem Zögern.
    – Das macht nichts, denn Sie erzählen sie im gleichen Ton, in dem mein Vater mir und meiner Schwester früher oft die Geschichte von Peter Pan erzählt hat. Obwohl wir dagegen ankämpften, wurden wir immer wieder vom Schlaf überwältigt … Sprechen Sie weiter, bitte.
    Und als Zeichen, dass es ihr ernst war mit ihrer Bitte, legte sie erneut den Kopf an seine Schulter.
    Elia erzählte weiter, bis er schließlich auf dieser langen Reise über den Atlantik selbst in einen kurzen Schlummer sank. Susan erwachte erst kurz vor der Landung, als die Passagiere aufgefordert wurden, sich wieder anzuschnallen. Nun warf Elia wie gewohnt seine Angel aus:
    – Ich kenne ein französisches Restaurant in der …
    Aber Susan schien ihn nicht zu hören. Sie war damit beschäftigt, ihre Habseligkeiten einzusammeln und sich darauf vorzubereiten, das Flugzeug zu verlassen.
    – Mögen Sie die französische Küche?, unternahm er einen zweiten Versuch, konnte ihr aber auch diesmal keine Antwort entlocken. Es gab offensichtlich einen Fehler in seinem System.
    Sie wechselte das Thema, zeigte auf das Akkordeon:
    – Können Sie darauf spielen?
    Nun zog er es vor zu schweigen und betrachtete die Wolkenkratzer von Manhattan.
    Nachdem das Flugzeug am John-F.-Kennedy-Flughafen gelandet war, überreichte Susan ihm ihre Telefonnummer und verschwand in der Menge der Reisenden. Er blieb stehen und schaute ihr in der Hoffnung nach, sie würde sich wenigstens ein letztes Mal zum Abschied umdrehen. Eine Woche später würde er sie anrufen und feststellen, dass unter dieser Nummer keine Susan zu erreichen war. Der Mann am Telefon war kurz angebunden und mürrisch. Ihr Vater, ihr Mann, ihr Freund, wer weiß, vielleicht hatte sie ihm auch eine fremde Nummer gegeben. Elia fasste sich kurz und legte schnell wieder auf.
    Elia konstatierte, dass er wieder in seine Welt zurückgekehrt war. Er lächelte innerlich. Nachdem Susan ihn am Flughafen inmitten einer Schar japanischer Touristen hatte stehen lassen, holte er den Koffer mit seiner Kleidung. Seine Mutter hatte ihm seine Kinderkleider und -schuhe eingepackt, dazu noch die Schulbücher und Hefte der ersten Klassen sowie den auf einem Bein stehenden glänzenden Metallvogel mit den ausgebreiteten Flügeln. Er nahm das Foto seines Vaters heraus, das er bei dem armenischen Fotografen Davidijân gefunden hatte, und betrachtete es lange. Ein mittelgroßer Mann, der mit sich selbst zufrieden schien; das beim Posieren vor dem Fotografen obligatorische Lächeln konnte eine gewisse Trauer nicht verbergen. Er riss das Bild in zwei Teile, um den Mann loszuwerden, der neben seinem Vater stand. Da es kalt war in New York, holte er seinen schwarzen Mantel hervor, legte ihn sich über den Arm, schloss den Koffer und ließ ihn stehen. Ebenso die Tasche mit den Lebensmitteln. Er nahm das weinrote Akkordeon und das Foto von Jûssef al-Kfûri und verließ den Flughafen. Er fühlte sich leicht, ein Reisender ohne Gepäck. Sollte ihn jemand fragen – aber wer sollte ihn schon fragen? –, würde er
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