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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns
Autoren: J Douaihy
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sich um und ließ die Tüte mit dem Käse und die Weizengrütze-Bällchen dort liegen, wo er gesessen hatte. Er wuchtete sein Gepäck auf einen Wagen und ging Richtung Gate, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Die unverhohlenen Blicke im Flugzeug, das mit ihm in Richtung Europa abhob, schienen ihn identifizieren zu wollen. Sie waren ihm lästig. Er plauderte auf Französisch mit einem langhaarigen jungen Mann in abgetragener Kleidung, der einen strengen Geruch verbreitete. Er erzählte, er käme gerade aus Katmandu und sei auf der Suche nach Kunden, denen er kleine Mengen Haschisch verkaufen könnte. Als er Elia nach seinem Namen fragte, entgegnete ihm dieser ohne zu zögern auf Französisch Élie. Weil der Langhaarige, wie er behauptete, von der Flughafenpolizei und von Interpol gesucht wurde, nannte er Elia weder seinen Namen noch seinen Wohnort. Seinerseits vermutete er, dass Elia kein Franzose war – wegen seines ungewohnten Akzents. – »Sind Sie vielleicht Belgier? Oder Kanadier, nicht wahr?« Elia lächelte verschmitzt und antwortete nicht. Aber es beruhigte ihn, dass er wieder in eine Sphäre zurückgekehrt war, in der nichts auf seine Herkunft schließen ließ.
    Am Flughafen Orly war die Wartezeit kürzer. Er ließ die Tasche mit den restlichen Lebensmitteln einfach auf einem der Sitze stehen, in der Hoffnung, ein Passagier würde sie an sich nehmen, während er einen Bummel durch die teuren Boutiquen unternahm. Ein die Flughafenhalle durchstreifender französischer Sicherheitsbeamter aber hatte dies bemerkt und forderte ihn auf, die Tasche mitzunehmen. Man duldete kein herrenloses Gepäck. In einer der Buchhandlungen kaufte er sich ein neues Notizheft. Anschließend entsorgte er die Pistazienkekse und die in Öl eingelegten Joghurt-Bällchen in einem Mülleimer, und schon war sein Gepäck leichter geworden. Das Pistaziengebäck weggeworfen zu haben, bereute er später ein wenig.
    An Bord des Fluges nach New York notierte er seine Eindrücke in das neue kleine Notizbuch, wobei er sie mit den feierlichen Worten einleitete: »Ich fliege in einem Diamanten über den Atlantik, der von einer weißen Endlosigkeit umgeben ist und am ehesten einem stickigen Gefängnis gleicht. Neben mir sitzt eine junge Frau, die mich an die pubertären Träume meiner frühen Jugend erinnert, Brille mit schmaler Fassung, ein Geheimnis, eine Schönheit …« Er unterschlug, dass sie eine Blondine immer noch ganz nach seinem Geschmack war. Er musterte die Passagiere auf ihren Sitzen, einen nach dem anderen, entdeckte aber kein vertrautes Gesicht. Die junge Frau sprach er nicht an, stattdessen blätterte er in zahllosen Zeitungen und schenkte ihr ab und zu ein gleichgültiges Lächeln, das auf diesem langen Nachtflug vielleicht ihre Neugier zu wecken vermochte. Als sie ihn um eine Zeitschrift bat, stellte er sich als Ilay vor, diesmal mit englischem Akzent. Ihr Name war Susan. Der Flug dauerte mehrere Stunden, und schließlich war sie es, die ein Gespräch begann. Normalerweise redeten die Frauen nicht. Diese Susan aber schien, während sie ihn ansah, mit sich selbst zu reden. Ganz einfach so und ohne Einleitung hatte sie zu erzählen begonnen. Sie fand ihn wohl sympathisch. Er hatte etwas, das auf andere Menschen anziehend wirkte, besonders auf Frauen. Sie lebe allein in New York, sagte sie, und sie liebe diese Zurückgezogenheit. Sie habe keinen Ehemann und keine Freunde. Er lächelte heimlich, sie taten immer so genügsam, klammerten sich an ihre ach so geheiligte Einsamkeit. Der schönste Augenblick des Tages sei es, wenn sie abends das Fenster ihres Zimmers sperrangelweit öffne, nachdem sie einen anstrengenden Tag im Sozialamt in einem der Armenviertel hinter sich gebracht habe, wo sie arbeite. Sie mache das Fenster auf und könne sehen, wie sich die Sterne mit den Lichtern der Stadt vermischten. Sie lebe in einem der oberen Stockwerke und könne die Flugzeuge ausmachen, die eines nach dem anderen den Himmel der Stadt durchteilten und blinkende Lichtzeichen an den Flughafen auszusenden schienen, unzählige kleine Pünktchen. Sie liebe die erfrischende Nachtluft, suche Augenblicke der Ruhe, Momente der Harmonie, bevor die unbändige Woge des Lebens sie am nächsten Morgen wieder mit sich reiße. Stets sei sie darum bemüht, die Zeit der Besinnung in ihrem Leben ein wenig in die Länge zu ziehen …
    Elia zögerte. Er ließ die junge Frau aus New York reden, und für eine gewisse Zeit schien es, als habe er selbst nichts zu sagen.
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