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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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Viele der Hererorinder waren gegen die Rinderpest geimpft worden, was man am Schwanz überprüfen konnte. Ein erstaunlich einfaches, aber wirksames Verfahren, das einer der gefangenen Herero, der für die Deutschen arbeiten durfte, Gottschalk erklärte. Man nimmt einen starken Faden, tränkt ihn mit der Schleimmasse eines an Lungenseuche eingegangenen Rindes und zieht ihn dann mittels einer Nadel durch die Haut des Schwanzes. Der Faden wird verknotet und abgeschnitten, so daß ein Teil im Schwanz bleibt.
    Gottschalk kam in seinem Gutachten zu dem schlichten Ergebnis: Die Rinder seien verhungert.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 23. 10. 04
    Auf dem Weg am Lager habe ich weiße Maden gesehen, fingerdick, als hätten sie mutiert.
    Haring sagte gestern im Casino: Zivilisation ist ohne Opfer nicht denkbar.

    An diesem Abend erzählte Gottschalk Wenstrup, daß er eine Eingabe an die Schutztruppenintendantur machen wolle, mit folgendem Vorschlag: Man möge die frisch verendeten Tiere den hungernden Gefangenen überlassen.
    Wenstrup meinte, ein Versuch könne nichts schaden, er glaube aber nicht an einen Erfolg.
    Gottschalk hatte eigentlich erwartet, daß Wenstrup ihm zuraten würde, statt dessen versteckte er sich hinter seinem Pfeifenrauch. Selbstverständlich wußte Gottschalk, daß es unklug war, sich in etwas einzumischen, was geregelt war, was also lief, egal auf welchem Befehl etwas beruhte, egal selbst dann, wenn es gar keinen Befehl dafür gab. Der militärische Apparat war äußerst anfällig immer dann, wenn etwas in Frage gestellt wurde, wenn das, was nun schon einmal lief, nochmals befragt wurde, warum es gerade so liefe. Den Überblick hat man nur an der Spitze, pflegte Gottschalks ehemaliger Regimentskommandeur zu sagen, der auf der Kriegsakademie war: Der Mann vorn ist blind, gerade weil er das Weiße im Auge des Feindes sieht.
    Was Gottschalk empörte, war dieser Widersinn, daß Menschen verhungerten, während wenige Meter weiter die Rinder umfielen und verwesten. Er war davon überzeugt, daß der Befehl, den gefangenen Herero kein Fleisch zu geben, auf einer Unkenntnis der tatsächlichen Situation beruhe. Vermutlich hatte man mit diesem Befehl verhindern wollen, daß für die Gefangenen Rinder geschlachtet würden. Tatsächlich aber krepierten die Tiere zu Hunderten an Auszehrung. Sie legten sich auf die sandige Ebene und kamen dann nicht mehr hoch.

    Nachts schrieb Gottschalk seine Eingabe.
    Als Begründung führte Gottschalk zwei Gesichtspunkte an: 1. Die Kadaver würden durch einen Verzehr nicht verwesen, und damit würde die Seuchengefahr für die Schutztruppe und die Gefangenen herabgesetzt. 2. Das Leben von Frauen und Kindern könne gerettet werden.

    Gottschalk konnte nicht einschlafen. Draußen ging ein Gewitter nieder.
    Am nächsten Morgen ließ Gottschalk sich in der Schreibstube von Stabsveterinär Moll melden. Er wollte unbedingt den Dienstweg einhalten, also über den Stabsveterinär an den Intendanturrat. Gottschalk hoffte, daß Moll nicht wieder von den Vorzügen der Hottentottenweiber zu reden anfangen würde.
    Was Gottschalk nicht ahnen konnte, war, daß er auf einen Moll stoßen würde, der, nach einem häßlichen Anpfiff, in stiller Wut am Schreibtisch saß, einer Wut, die er nicht einmal an seinem Schreibstubenhengst, einem Sergeanten, hatte ablassen können, da der ihm bisher einfach keinen Anlaß geboten hatte. Stabsveterinär Moll war frühmorgens zum Etappenkommandeur Major von Redern befohlen worden, der normalerweise ein gemütliches Schwäbisch sprach, an diesem Morgen aber wie ein Unteroffizier brüllte. Der größte Teil des Hafers, der ungeschützt im Freien lagerte, war bei dem nächtlichen Gewitter naß geworden. Niemand hatte mit Regen gerechnet. Außerdem fehlte es an Planen, mit denen man die Hafersäcke hätte abdecken können. Feuchter Hafer, womöglich angegoren, das wußte Moll als Veterinär selbstverständlich, konnte eine ganze Reiterarmee außer Gefecht setzen. Die Koliken verwandelten auch gut dressierte Dienstgäule wieder in um sich schlagende Wildpferde. Moll sah sich den häßlichsten Vorwürfen konfrontiert: Dilettant, Stümper. Das war schon fast ehrenrührig. Der Major brüllte (das Erniedrigende war, Moll merkte, daß Redern sich vorgenommen hatte zu brüllen, ihn, Moll, zu beleidigen), er habe den Eindruck, das alles grenze an Sabotage. Kollaboration womöglich. Das war das Ungeheuerlichste, daß Redern Moll unterstellte, er könne mit diesen Kaffern
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