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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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Gewürzinseln.
    Woran denken Sie, wenn Sie Gewürzinseln hören, hatte Gottschalk während der Überfahrt Wenstrup einmal gefragt. Der dachte einen Augenblick nach: ein nach innen gerichtetes Schmecken, dann sagte er: Glühwein, und zu Gottschalk: Ich glaube, der große Moltke war’s, der gesagt hat: Preußens Armee hat keinen Platz für Juden und für Träumer.

    Nachts hielt der Zug an einer kleinen Wellblechhütte, die ringsum von einem Sandsackwall umgeben war. Daneben ein Wassertank, Kohlenhaufen und ein Holzkreuz. Der Bahnbeamte, der hier Dienst getan hatte, war bei Beginn des Aufstandes von Herero erschossen worden. Das Stationshäuschen war jetzt mit sechs Mann vom Eisenbahndetachement besetzt. Posten wurden aufgestellt. Gottschalk schlief erstmals im Freien. Er konnte nur schwer einschlafen. Um 5 Uhr morgens wurde geweckt, Kaffee ausgeschenkt, dazu gab es Schiffszwieback. Gegen 6 Uhr fuhr der Zug weiter. Nachts könne man nicht fahren, hatte der Lokomotivführer gesagt, die Gegend werde noch immer von versprengten Hererobanden unsicher gemacht.
    Nach vier Stunden Fahrt veränderte sich die Landschaft: hügelig mit einigen dürren Büschen.
    Doktor Haring und Oberleutnant Ahrens unterhielten sich darüber, wie man dieses Land einmal kultivieren könne.
    Wenig später hielt der Zug. Die Schienen waren vom Sand zugeweht. Ein Trupp gefangener Herero schaufelte sie frei. Jeweils zwei waren mit Ketten aneinandergefesselt. Daneben standen zwei Posten. Der eine rauchte eine Pfeife.
    Einer der gefangenen Herero trug – vermutlich als Schutz gegen das scheuernde Halseisen – einen abgerissenen Stehkragen.
    In der Gegend von Karibib wurde der Baum- und Buschbestand dichter. Dazwischen, in Senken und Mulden, wo Wasserstellen lagen, kamen immer wieder grüne Inseln. Das Gras der Ebene hingegen war durch die monatelange Trockenheit auf dem Halm zu Heu geworden. Hier konnte man, das sah Gottschalk, Viehzucht treiben, wenn auch nur extensiv. Die Aufmerksamkeit, mit der er die Landschaft draußen betrachtete, fiel schließlich sogar dem Leutnant von Schwanebach auf, der fragte, ob der Oberveterinär Angst vor den schwarzen Banditen habe oder nach Pavianen Ausschau halte.

    In Gottschalks Tagebuch finden sich zahlreiche Eintragungen über die Bodenbeschaffenheit und Flora der Gegenden und Landstriche, durch die er gekommen ist. Es finden sich auch Skizzen von Farmhäusern, zumeist mit sechs bis acht Zimmern. Diese Grundrisse sind exakt, wenn auch in architektonischer Hinsicht laienhaft ausgeführt. So wäre nach einem Entwurf die Küchentür gar nicht zu öffnen gewesen, da ein Wassertank sie versperrte.

    Wonach Gottschalk Ausschau hielt, war Farmland, auf dem er, in einigen Jahren, mit seinem ersparten Geld Rinder und Pferde züchten wollte. Meist abends vor dem Einschlafen richtete er sich schon in dem Farmhaus ein. Es gab eine Bibliothek, ein Wohnzimmer, in dem ein Klavier stand (tatsächlich findet sich in einer der Skizzen ein Piano im Wohnraum), obwohl Gottschalk selbst nur etwas Flöte spielen konnte, aber seine Frau würde Klavier spielen können, später auch seine Kinder. Wobei gesagt werden muß, daß Gottschalk zu dieser Zeit (er war vierunddreißig Jahre alt) keine Frau kannte, die seine Frau hätte werden können. In Hamburg hatte er das gehabt, was man ein Verhältnis nannte, und zwar mit der Frau eines Amtsgerichtsrates.
    Für Angehörige der Schutztruppe gab es zinsgünstige Kredite, wenn sie in Südwest Land erwerben wollten. An einem warmen Abend würde sich die Familie im Wohnzimmer zur Hausmusik versammeln, und man würde in der Ruhe des Landes die Sonata ›La Buscha‹ von Johann Heinrich Schmelzer hören. Das war eine jener Situationen, die Gottschalk immer wieder vor Augen hatte, wobei er sich selbst beim Musizieren beobachtete, zugleich aber auch aus der Ferne das Haus mit seinen erleuchteten Fenstern sah und in der nächtlichen Stille das Cembalo hörte. Ob er ein Klavier oder Cembalo kaufen würde, hing jeweils von der Situation ab, die er sich gerade vorstellte, und von dieser Situation wiederum, wie das Zimmer auszusehen habe und dementsprechend das Haus (darum die Skizzen so unterschiedlicher Haustypen) und endlich auch die Zahl seiner Kinder. Bei bestimmten Musikstücken würden drei reichen, bei anderen vier, zuweilen waren sechs notwendig, wobei man wohl später, wenn der Farmbetrieb mit seiner Zucht florierte, eine Gouvernante, womöglich auch einen Hauslehrer einstellen konnte, so daß
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