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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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wie er Gottschalk erklärte – seine Frau und seine Töchter Lisa und Amelie. Schon am ersten Reisetag lernte Gottschalk die verwickelten Familienverhältnisse der Harings kennen. Haring hatte seine Cousine geheiratet, die genaugenommen aber gar nicht seine Cousine war. Sein Onkel hatte das Mädchen adoptiert. Auf die Frage Harings, warum er, Gottschalk, noch nicht verheiratet sei, antwortete Gottschalk: Er habe noch nicht die Richtige gefunden.
    Wenstrup beteiligte sich an diesen Gesprächen nicht, auch dann nicht, als Haring einmal den Versuch machte, ihn mit einzubeziehen, indem er darauf hinwies, daß man sich bei der schlechten Kabinenbeleuchtung leicht die Augen verderben könne. Wenstrup lag nämlich meist lesend auf seinem Bett.
    Gottschalk hätte gern den Titel des Buchs gewußt, das Wenstrup las. Aber das Buch steckte in einem Buchschoner aus Schlangenleder, und fragen mochte er nicht.
    Er selbst hatte sich für die Überfahrt drei Bücher mitgenommen. Ein Lehrbuch der Immunologie, eine südafrikanische Pflanzenkunde und einen Roman von Fontane, ›Der Stechlin‹.
    Mit der Angewohnheit zu lesen, hatte Gottschalk in seinem alten Regiment anfangs die Witzeleien einiger Offiziere auf sich gezogen. Einmal fand man ihn sogar während eines Manövers an einem Wagenrad im Schatten sitzen, ein Buch in der Hand. Was ihn davor schützte, als Sonderling ins Gerede zu kommen, war, daß er die Leserei als notwendiges Übel herunterspielte, da er wissenschaftlich auf dem laufenden bleiben müsse. Aber es blieb natürlich nicht verborgen, daß er auch Romane las, und zwar zeitgenössische.
    Von Gottschalk hieß es, daß er auch schwer lahmende Pferde schnell wieder auf die Beine bringen könne. Truppenoffiziere, die glaubten, sich an diesem Roßarzt die Stiefel abwischen zu können, erlebten meist peinliche Überraschungen. Der Major von Consbruch brüllte auf dem Kaisermanöver Gottschalk an, als der ihm empfahl, sein lahmendes Pferd zu schonen. Später, als die Batterien im Galopp vorgingen, mußte der Major mitten in der Aktion auf ein mitgeführtes Handpferd umsteigen. Der hinter seinen Batterien hergaloppierende Bataillonschef gab kein gutes Bild ab. Er erhielt vom Kommandierenden General persönlich einen Rüffel. Solche Fälle sprachen sich herum, ohne daß Gottschalk damit protzte.

    Grußvorschrift
    Auf Schiffen wird ein Vorgesetzter nur einmal am Tag gegrüßt, und zwar dann, wenn man ihm zum ersten Mal begegnet. Ein Unterveterinär hat einen Oberveterinär zu grüßen, indem er die Hand an den Mützenschirm bzw. an die Hutkrempe legt. Die gleiche Grußbezeugung macht ein Oberveterinär vor einem Oberarzt. Alle drei Dienstgrade, also Unterveterinär, Oberveterinär und Oberarzt, müssen jedem Leutnant die obig angegebene Grußbezeugung zuerst erweisen.

    Die »Gertrud Woermann« hatte schon den Ärmelkanal passiert, als Gottschalk mit Wenstrup erstmals auf persönliche Dinge zu sprechen kam.
    Es hatte ziemlich aufgebrist, und es gab die ersten Seekranken. Wenstrup bot Gottschalk eine Pille gegen Seekrankheit an. Gottschalk erzählte, daß er in Glückstadt aufgewachsen sei, sozusagen mit Schiffen vor der Haustür. Sein Vater habe dort einen Kolonialwarenladen und sein Großvater mütterlicherseits einen Heringslogger. In seinen Schulferien sei er einige Male mit zur Doggerbank gesegelt.
    Gott schütze uns vor Feuer auf hoher See, das war so ein Schnack, den Gottschalks Großvater bei jeder Gelegenheit in einem sperrigen Hochdeutsch abließ.
    Wenstrup sagte, er sei Berliner, Landratte also, und habe sich vorsorglich das Mittel eingesteckt.

    Was Gottschalk erst später bewußt geworden war: daß Wenstrup nur ihm von dem Mittel gegen Seekrankheit angeboten hatte und nicht dem Leutnant von Schwanebach, der sehr litt, auch nicht dem Transportführer, Rittmeister von Tresckow.
    Während des Frühstücks behauptete von Tresckow, Kavalleristen würden so leicht nicht bleich werden, dazu gebe es doch zu viele Parallelen zwischen Pferden und Schiffen. Das Mittagessen ließ er ausfallen. Nachmittags stand er auf dem Bootsdeck, klammerte sich an die Reling und starrte in die Ferne. Jemand von der Schiffsbesatzung hatte ihm gesagt, das helfe. Sein Monokel baumelte achtlos an der Schnur, schlug, wenn das Schiff überholte, klirrend an einen Stahlstutzen. Kurz vor dem Abendessen kam Wenstrup in die Kabine und sagte zu Gottschalk, er möge doch mal in die Toilette gehen, dort könne er die Kampfkraft der Gardekavallerie
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