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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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der Ankerkette. Aber er war von etwas anderem aufgewacht. Er brauchte einen Moment, bis es ihm bewußt wurde: Das Fehlen des gleichmäßig stampfenden Dröhnens, des leichten Vibrierens von Planken, Kabinenwänden und dem Bettgestell. Gottschalk überlegte, ob er hinausgehen und zur Küste hinübersehen sollte. Als er dann aber Stimmen auf dem Bootsdeck hörte und sah, daß Oberarzt Haring schon draußen war, blieb er liegen.

    Als er am nächsten Morgen hinausging, fand er sich zu seinem Erstaunen in einem milchig dichten Nebel. Er konnte nicht einmal das Heck des Schiffs erkennen. Nur das taktmäßige Rauschen und Brausen einer Uferbrandung deutete an, wo die Küste lag. Gegen 11 Uhr lichtete sich der Nebel. Eine graubraune Wüstenlandschaft kam zum Vorschein.
    An der Küste lagen verstreut ein paar Backsteinhäuser, Baracken, Wellblechhütten, Zelte. Keine Palmen, keine Bäume, überhaupt kein Grün. Obwohl Gottschalk wußte, was ihn landschaftlich erwartete, war er enttäuscht.

    Nachdem die Kruneger die Soldaten in Brandungsbooten an Land gebracht hatten, wurden die Pferde verladen. Einzeln wurden sie in Gurten von der Bordwinsch aus dem Laderaum gehievt und dann auf Holzpräme gefiert. Die Präme wurden von einer Dampfbarkasse in die Nähe der Brandung geschleppt, wo die Begleitmannschaft durch Peitschenknallen die Pferde ins Wasser trieb. In Rudeln schwammen sie an Land.
    Wenstrup kam mit dem letzten Boot. Er hatte das Verladen der Pferde an Bord überwacht. Als das Boot sich im seichten Wasser festlief, konnte man erkennen, daß er barfuß war. Er lehnte es ab, sich von einem der Neger an Land tragen zu lassen. Stiefel, Degen und Socken in den Händen, watete er an Land.
    Rittmeister von Tresckow, der neben Gottschalk stand und die herumtollenden Pferde beobachtete, die von den Mannschaften des Pferdedepots langsam zusammengetrieben wurden, sagte: Die Gäule mögen ja schlagen und beißen wie sie wollen, am Ende kommen sie doch wieder vor einen Wagen und bekommen einen Kutscher oder Reiter, der sie mit Zügel und Peitsche lenkt.

    In Swakopmund erfuhr Gottschalk, daß er nicht wie vorgesehen zur Nordabteilung ins Hereroland kommen sollte, sondern der 8. Batterie im Süden zugeteilt worden war.
    Im Süden sieht es ziemlich finster aus, sagte der Oberleutnant Ahrens.

    Zwei Lokomotiven zogen den Kleinbahnzug durch die Wüste. Gottschalk hätte bequem neben dem Zug herlaufen können, wäre nicht die Hitze gewesen. Er saß wie die anderen auf Hafersäcken. Über den offenen Güterwagen hatte man als Sonnenschutz eine Plane gespannt.
    Allein Rittmeister Tresckow trug noch seine Uniformjacke und umgeschnallt seine Pistole.
    Will der die Lokomotive besteigen, hatte Wenstrup Gottschalk bei der Abfahrt gefragt und dabei auf die Reitgerte des Rittmeisters gezeigt. Gottschalk tat, als habe er nichts verstanden. Später, der Zug war schon abgefahren, zeigte sich aber, daß im Griff der Reitgerte ein kleines goldenes Feuerzeug eingebaut war. Eine Spezialanfertigung einer Peitschenfabrik im Allgäu.
    Sehr bequem, sagte Tresckow, und das sollte fünf Monate später auch ein Hottentotte sagen, als er nach einem Patrouillengefecht diese Peitsche fand.
    Bequem, weil man sich noch kurz vor der Attacke eine Zigarette anzünden konnte, ohne lange in den Taschen wühlen zu müssen. Gottschalk hatte sich in die offene Waggontür gesetzt. Er hoffte, der Fahrtwind würde etwas Kühlung bringen. Es war, als säße er vor der offenen Feuerung eines Heizkessels. Draußen lag in der flimmernden Hitze eine öde, pflanzenlose Ebene, aus der hin und wieder zerklüftete Felsen herausragten und zuweilen, wie hingeschüttet, gewaltige Geröllhalden.

    Zweimal im Jahr packte Gottschalks Vater eine Segeltuchtasche und fuhr mit der Eisenbahn nach Hamburg. Geschäftsreise nannte er das. In der Segeltuchtasche hatte er sein Auftragsbuch, in dem stand, was und in welcher Menge er bei dem Kolonialwaren-Importeur nachbestellen mußte.
    Auf diese Zeit, diese fünf oder sechs Tage im Jahr, freute sich der kleine Gottschalk. Er durfte dann im Laden spielen, und seine Mutter nahm die Glasdeckel von den dickbauchigen Gläsern in den Regalen und ließ ihn hineinriechen: Zimt, braune Borkenstücke aus Ceylon; Vanille, verschrumpelte braunschwarze Schoten aus Guatemala; Muskat, graurillige Fruchtkerne aus Kamerun; der süße, schwere Duft der Gewürznelken, dickstengelige Blütenknospen, die von den Gewürzinseln in der Molukkensee kamen.
    Dieses Wort:
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