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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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fahren ließen oder aber mit ihrem erstaunlich großen Steiß wackelten.
    Diese Weiber seien ganz phantastisch, sagte Stabsveterinär Moll, der Gottschalk in seinen Aufgabenbereich einführte, keine Moral und darum richtige Schweine, leider seien die meisten syphilitisch. Über zwanzig Prozent der Truppe habe sich inzwischen infiziert.

    Am Rande des Orts stand das Vieh in großen Kraalen. Rinder, Schafe und Ziegen, die man den besiegten Herero abgenommen hatte. Der größte Teil sei leider in der Wüste verdurstet. Es sei nicht gelungen, den Herero das Vieh abzunehmen, bevor man sie in das Sandfeld trieb. Jetzt gelte es, den Viehbestand zu sichten und auf Infektionskrankheiten zu prüfen. Täglich würden neue Tiere angetrieben.
    Auf die Frage Gottschalks, was man mit dem Vieh zu tun gedenke, antwortete Moll, es sei dafür da, den Fleischbedarf der Truppe zu decken. Der Rest verrecke einfach. Die deutschen Siedler hätten zwar dagegen protestiert, aber es gäbe einen Befehl vom General.
    Die Rinder sahen erbärmlich aus, durchweg abgemagert, viele durch Dornen oder Schüsse verletzt, mit eiternden Entzündungen. Allenthalben lagen die Kadaver der verendeten Tiere herum. Es stank nach Aas.
    Unmittelbar neben dem Viehkraal war eine große freie Fläche mit Stacheldraht eingezäunt worden. Davor Posten mit aufgepflanzten Bajonetten. Hinter dem Zaun konnte Gottschalk Menschen hocken sehen, eher Skelette, nein, etwas in der Mitte zwischen Menschen und Skeletten. Zusammengedrängt saßen sie da, meist nackt, in der stechend heißen Sonne.
    Wie sehen die denn aus, sagte Gottschalk und starrte hinüber.
    Das ist unser Konzentrationslager, erklärte Moll, nach den neuesten Erkenntnissen der Engländer im Burenkrieg errichtet.
    Aber das sind ja Frauen und Kinder, sagte Gottschalk.
    Ja, man sei endlich dazu übergegangen, die Männer von den Frauen abzusondern. Allerdings gebe es ohnehin nur noch wenige Männer. Es sei immer wieder vorgekommen, daß die am hellichten Tag koitiert hätten, und das, obwohl die doch kaum was zu fressen bekämen. Ein hemmungsloser Drang zur Fortpflanzung. Die Sterbefälle überwögen jetzt aber bei weitem die Neugeburten.

    Gewürzinseln. Sie liegen am Äquator, auf dem 130. Längengrad, in der Molukkensee. Dort wachsen die Gewürznelken, blühen, süßschwer duftend, auf den Feldern im Landesinneren, umschwirrt von Paradiesvögeln, dort werden die Knospen von Malaien gepflückt, getrocknet und von Trägerkolonnen durch das Geschrei des Dschungels getragen, begleitet vom nächtlichen Sammettritt des Tigers. An der Küste werden sie in Booten mit schnellen Stechpaddeln zu den Schiffen hinausgefahren, die vor den Riffen ankern. Die weißen Segel ziehen am Mast auf, schieben, prall gefüllt vom Passat, das Schiff durch die Ozeane, hängen wochenlang schlaff in den Kalmen, zerplatzen wie Kanonenschüsse in der Biskaya. Neue Segel treiben das Schiff durch den Ärmelkanal zur Elbe, an Glückstadt vorbei, nach Hamburg. Die Nelken, in Säcken vernäht, werden in den Speichern gestapelt, bis zwei Säcke, auf den Ewer von Hannes Christiansen verladen, wieder nach Glückstadt segeln, wo sie in das große Glas im Regal kommen, um nach und nach in den von der Mutter gedrehten Tüten abgewogen und in die Häuser getragen zu werden, was meist der kleine Gottschalk besorgen mußte. Dort wurden sie den Bratensoßen und dem Glühwein beigegeben, entfalteten sie endlich auf der Zunge von Doktor Hinrichsen ihren Geschmack und Geruch, der einmal nur Duft war, auf den fernen Gewürzinseln.

    Woran die sterben, sagte Gottschalk später zu Wenstrup: Ruhr, Typhus und Unterernährung. Die verhungern.
    Nein, sagte Wenstrup, man läßt sie verhungern, das ist ein feiner, aber doch entscheidender Unterschied.
    Gottschalk vermutete lediglich ein Versagen subalterner Dienststellen.
    Wenstrup hingegen behauptete allen Ernstes, dahinter stecke System.
    Welches?
    Die Ausrottung der Eingeborenen. Man will Siedlungsgebiet haben.

    Als Gottschalk am nächsten Tag zu den Viehkraalen ritt und an dem Lager vorbeikam, sah er Hände, die sich durch den Stacheldraht ihm entgegenstreckten.
    Jemand hatte ein Schild gemalt und an den Zaun gehängt: Bitte nicht füttern.
    Gottschalk hatte von Stabsveterinär Moll den Befehl erhalten, die Ursachen für das Rindersterben zu untersuchen. Er hatte Blutproben entnehmen lassen, einige der Kadaver seziert und Gewebeteile unter dem Mikroskop untersucht. Der Verdacht auf Rinderpest war unbegründet.
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