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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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unter einer Decke stecken. Mehrmals hatte Moll versucht, sich zu rechtfertigen. Jedesmal, wenn er etwas sagen wollte, fuhr ihm der Major über den Mund: Sie halten den Mund. Sie antworten, wenn ich Sie frage. Dann ließ er Moll abtreten. Auf dem Rückweg in sein Dienstzimmer dachte Moll an seine Pensionierung. Kollaboration. Moll nagte beim Lesen an seiner Unterlippe, einer ziemlich schmalen Unterlippe in diesem dicken Bauernschädel, wie man ihn häufig in Norddeutschland finden kann: breite Kiefer, leicht abstehende Ohren. Gottschalk, den Moll stehen ließ (Moll hatte mittags bei Major von Redern auch stehen müssen), beobachtete, wie sie rot zu leuchten begannen. Während des Lesens knöpfte sich Moll mit einer merkwürdigen Nervosität, die gar nicht zu dem massigen Körper passen wollte, den Knopf der rechten Brusttasche seines Uniformrocks auf und wieder zu, und dann sah er zu Gottschalk hoch. Inzwischen hatte das Gesicht die Farbe der Ohren angenommen. Er starrte Gottschalk an, und dann kam aus diesem Scharnierkiefer zuerst nur ein Wort: Tropenkoller. Moll konnte endlich brüllen.

    Abends fragte Wenstrup Gottschalk, ob es sich bei der fehlenden Verpflegung der Gefangenen um eine Vergeßlichkeit unterer Dienststellen handle.
    Gottschalk sagte, es gäbe Befehle.
    Ob Gottschalk seine Eingabe dennoch gemacht habe, fragte Wenstrup ihn nicht.
    Am 3. November erhielt der Oberveterinär Gottschalk einen Marschbefehl nach Keetmannshoop, das im Süden des Schutzgebietes lag. Er sollte sich der 5. Batterie anschließen, die nach Rehoboth marschierte. Der Weg führte durch das Gebiet der aufständischen Hottentotten.

Zwei Positionen

    Aus der Proklamation des Generals v. Trotha an die Herero vom 2. Oktober 1904: Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen deutschen Kaisers.
    (Conrad R. Rust, Krieg und Frieden, Leipzig 1905, S. 385)

    Gouverneur Oberst Leutwein soll sich auch nach dem Kommandowechsel um einen Frieden durch Verhandlung bemüht haben und bezeichnet »die Nation als notwendiges Arbeitsmaterial«. (RKolA 2089)

    Reichskanzler v. Bülow: Die vollständige und planmäßige Ausrottung der Herero würde jedes zur Wiederherstellung des Friedens in SWA und zur Bestrafung gebotene Maß übersteigen. Die Eingeborenen sind sowohl für den Ackerbau und die Viehzucht als auch für den Bergbau unentbehrlich. (RKolA 2089)

    General v. Trotha: Ich bin gänzlich anderer Ansicht. Ich glaube, daß die Nation als solche vernichtet werden muß. (12. Dezember 1904, RKolA 2089)

    Der Generalstabschef, Generaloberst Graf Schlieffen: Daß er die ganze Nation vernichten oder aus dem Land treiben will, darin kann man ihm beistimmen. Ein Zusammenleben der Schwarzen mit den Weißen wird nach dem, was vorgegangen ist, sehr schwierig sein, wenn nicht erstere dauernd in einem Zustand der Zwangsarbeit, also einer Art Sklaverei erhalten werden. Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen. (Schlieffen an Kolonialabteilung, 23. November 1904, RKolA 2089)

    Ergebnisse: »Die mit eiserner Strenge monatelang durchgeführte Absperrung des Sandfeldes«, heißt es in dem Bericht eines anderen Mitkämpfers, »vollendete das Werk der Vernichtung. Die Kriegsberichte des Generals v. Trotha aus jener Zeit enthielten keine Aufsehen erregenden Meldungen. Das Drama spielte sich auf der dunklen Bühne des Sandfeldes ab. Aber als die Regenzeit kam, als sich die Bühne allmählich erhellte und unsere Patrouillen bis zur Grenze des Betschuanalandes vorstießen, da enthüllte sich ihrem Auge das grauenhafte Bild verdursteter Heereszüge.
    Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinns …, sie verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit!« (Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika, hrsg. vom Großen Generalstabe, Bd. 1, S. 218)

    Von ehemals etwa 80000 Herero überlebten 15130.

Allgemeine Lage

    Oktober 1904:
    Gouverneur Leutweins schiefe Situation
    Unmittelbar nach Ausbruch der Feindseligkeiten im Namaland erhält Gouverneur Oberst Leutwein von General Trotha den Befehl, die aufständischen Hottentotten anzugreifen und die eingeschlossenen Orte zu entsetzen. Leutwein ist Gouverneur und wäre somit General Trotha vorgesetzt, zugleich aber ist
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