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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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dessen war sich Paula sicher. Sie zwang sich, in eine andere Richtung zu sehen, während sie auf das Geräusch von splitterndem Holz und das Aufschlagen eines Körpers wartete.
    Schritte scharrten über den Kiesweg, Doris und Paula fuhren gleichzeitig herum, als wären sie bei etwas Verbotenem überrascht worden. Eine schwarzgekleidete Frau näherte sich langsam. Paula nickte ihr zu, daraufhin begann die Alte etwas in ihrer Sprache zu schreien. Sie fuchtelte und deutete mit ihrer gichtverkrümmten Hand auf den Baum, ihre Gewänder flatterten auf und ab wie Krähenflügel.
    Doris’ Augen richteten sich auf die Stelle im dichten Laub, wo Max wie ein umgedrehter Käfer am Ast hing.
    »Wollen wir bei mir noch einen Tee zusammen trinken, auf den Schrecken?« Die Worte kamen nur widerstrebend aus ihrem Mund. Paula hatte Max nicht gerne in ihrem Haus, weil nach seinen Besuchen meistens irgend etwas repariert oder gereinigt werden mußte. Aber die Reihe war an ihr, diesmal fiel ihr keine Ausflucht ein. Was sie befürchtet hatte, geschah: Doris nahm an.
    »Ich finde«, sagte Paula, als sie an dem weißlackierten Tisch in der geräumigen Küche saßen und sie den Tee aufgoß, »wir sollten sie wieder allein draußen spielen lassen. Von mir aus bei uns im Garten. Du siehst ja, selbst wenn wir dabei sind, kann was passieren.«
    »Ich weiß nicht«, widersprach Doris dieser etwas verqueren Argumentation, »es ist ein Unterschied, ob ein Kind vom Baum fällt …«
    »Beinahe vom Baum fällt«, korrigierte Paula.
    »Ja«, nickte Doris, »beinahe. Zum Glück ist diese Alte aufgetaucht.« Sie lachte ein wenig gekünstelt. »Vor lauter Quatschen habe ich gar nicht gesehen, was er da im Baum treibt. Ich bin wirklich eine Rabenmutter!«
    Rabenmutter, sezierte die wortverliebte Paula sogleich den Begriff, waren Raben – wie hieß denn nur die weibliche Form? Räbin? –, waren Räbinnen also schlechte Mütter?
    »Was?« fragte Doris.
    Wie, was? Hatte sie ihren letzten Gedanken etwa laut ausgesprochen, ohne es zu merken?
    »Es ist ja nichts passiert«, sagte Paula. Sie stand auf, um Tassen aus dem altmodischen Küchenschrank zu holen. »Wir können sie doch nicht ewig auf Schritt und Tritt beaufsichtigen.« Außerdem hasse ich diese Spielplatz-Nachmittage, grollte sie im stillen.
    »Ewig nicht. Aber solange der Kerl frei herumläuft, der den kleinen Benjamin …« Doris biß sich auf die Lippen. Sie blickte Paula besorgt an. »Unsere beiden sind einfach noch zu klein. Sie würden garantiert mit jemandem mitgehen oder in ein Auto steigen, wenn der Kerl es nur raffiniert genug anstellt. Besonders dein Simon«, fügte sie hinzu, »er ist so lieb und vertrauensselig. Der spricht doch mit jedem. Das ist ja gerade so nett an ihm, aber in diesem Fall nicht ungefährlich.«
    Paula pendelte mit dem Tee-Ei in der Kanne. »Ich möchte sein Vertrauen auch nicht unnötig durch irgendwelche Schauergeschichten zerstören. Er wird früh genug von selbst dahinterkommen, wie es um die Menschheit bestellt ist.«
    »Dann kann es zu spät sein«, antwortete Doris mit dramatischem Tonfall. »So wie für den kleinen Benjamin. Mein Gott, diesen Kerl aus den Schrebergärten, den habe ich selbst schon an unserem Spielplatz gesehen. Wenn man sich vorstellt …« Sie verstummte, ein vielsagendes Schweigen lastete im Raum.
    »Er ist harmlos. Er steht manchmal nachts vor Häusern herum und schaut den Leuten in die Fenster, weiter nichts«, wandte Paula ein. »Bei mir ist er öfter.«
    »Was?«
    »Er mag wohl diesen Garten.«
    »Hast du das dem Jäckle gesagt?«
    »Nein, warum denn? Er steht doch nur da und schaut.«
    »Na, ich weiß nicht … ich hätte Angst.«
    »Leute mit kleinen Ticks sind mir sympathisch.« Weil sie mir ähnlich sind, setzte Paula in Gedanken hinzu und war sich ziemlich sicher, daß Doris das gleiche dachte.
    »Er steht auch auf Spielplätzen rum und schaut«, bemerkte Doris giftig, »womöglich hat sein kleiner Tick den Benjamin das Leben gekostet.«
    »Es gab nicht den geringsten Beweis. Nur das Gerede der Leute. Dieses dumme, hysterische Geschwätz, mit dem sie jeden kaputtmachen, der nicht in ihr Bild von einer ordentlichen Welt paßt! Ich glaube jedenfalls nicht, daß er was damit zu tun hat. Die Leute suchen bloß krampfhaft nach einem Sündenbock.«
    »Die arme Mutter«, seufzte Doris. »Obwohl die familiären Verhältnisse ja nicht die besten sein sollen. Die Frau hat den Jungen ziemlich oft sich selbst überlassen. Er und seine
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