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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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was Feuilleton bedeutet.«
    »Das hast jetzt du gesagt!« Paula grinste. Mit Doris konnte man wunderbar über die Nachbarschaft lästern. Was Paula jedoch nicht verstand, war, daß Doris trotzdem eifrig bestrebt war, bei ebendiesen Leuten beliebt zu sein.
    Seit fünf Jahren wohnten sie beide einander gegenüber, Doris und ihr Mann Jürgen waren wenige Monate nach Paula und Klaus »aufs Land« nach Maria Bronn gezogen. Anfangs verband die beiden Frauen das Gefühl, Fremdkörper in einem Netz sozialer Inzucht zu sein. Später, im Gegensatz zu Paula hatte sich Doris schnell an die Verhältnisse angepaßt, wurde eine enge Freundschaft daraus.
    »Und dein größtes Manko«, nahm Doris den Faden wieder auf, »du hast kein Auto und keinen Mann. Am meisten verübeln sie es dir, daß du letzteres ganz offensichtlich nicht als Defizit empfindest.«
    »Gut gesagt. Hätte glatt von mir sein können.«
    Während sie mit Doris sprach, sah Paula Max zu, wie er auf einem dicken Seitenast der Buche balancierte. Er hielt sich an den Zweigen über ihm. Es waren dünne Zweige, so dünn, daß sie ihn im Falle eines Sturzes kaum halten würden. Und dieser Fall wurde immer wahrscheinlicher. Vermutlich war Max entgangen, daß der Ast, auf dem er stand, keine Blätter an seinen Zweigen trug. Er war durch und durch morsch. Mit wachsendem Interesse verfolgte Paula die Kletterpartie, die in etwa fünf Meter Höhe auf feuchtglänzender Rinde stattfand.
    »Sag mal«, hakte Doris nach, »vermißt du ihn wirklich nie?«
    »Wen? Klaus? Nein. So wie er sich bei der Scheidung benommen hat. Weißt du nicht mehr?«
    »Doch, doch«, sagte Doris rasch.
    »Er wollte mich für verrückt hinstellen, nur weil ich …«
    »Paula«, beschwichtigte Doris, »laß gut sein. Das ist jetzt vorbei und überstanden.«
    »Ja, du hast recht«, murmelte Paula. Zwei rote Flecken brannten auf ihren blassen Wangen.
    »Ich meinte nicht, ob du Klaus vermißt, sondern überhaupt einen Mann.«
    »Aber klar«, gestand Paula rundheraus, »manchmal vermisse ich schon die starke männliche Hand. Wenn eine riesige Spinne in der Badewanne sitzt, die Mülltonnen rauszukarren sind, das Klo verstopft ist, oder die Dachrinne …«
    »Paula, du bist einfach furchtbar!« unterbrach Doris sie kopfschüttelnd.
    Dazu schwieg Paula, denn es gab Interessanteres. Ihr Blick tastete sich durch das Laub, zu Max. Er schien zu schwanken. Paula hielt den Atem an. Was ist eigentlich mit Doris, fragte sie sich. Wann schlägt endlich ihr Mutterinstinkt Alarm?
    Aber Doris zwirbelte gedankenverloren ihren Schal und fixierte ihre Schuhe auf der Bank. Sie waren flach, und die abgerundeten Spitzen gaben ihrem ohnehin kleinen Fuß ein kindliches Aussehen. Sie waren aus dem einzigen Bioladen der Stadt, Doris war dort die beste Kundin. Vielleicht, spekulierte Paula, kam ihr strahlender Teint doch von den fleckigen Äpfeln und dem matschigschweren Vollkornbrot. Doris war, fünfunddreißig und hatte noch keine einzige nennenswerte Falte im Gesicht. Wenn man ihr Glauben schenken durfte, hatte sie seit ihrem sechzehnten Lebensjahr keinen Bissen Fleisch mehr zu sich genommen. Zunächst weniger aus Überzeugung – ihr Biotrip begann erst mit der Schwangerschaft –, sondern um ihre Eltern zu brüskieren, denn ihnen gehörte eine der größten deutschen Fleischgroßhandlungen.
    Der rote Anorak bewegte sich langsam auf das dünnere Ende des Astes zu. Das Holz gab einen leisen, ächzenden Ton von sich. Doris hörte ihn offenbar nicht. Warum laufe ich nicht hin und hole ihn da runter? Der Gedanke streifte Paula nur flüchtig und blieb ohne Folgen. Die Darbietung war zu erregend, ein Nervenkitzel, wie bei einem Seiltänzer ohne Netz. Fällt er nicht, ist man zwar von seiner Kunst beeindruckt, aber tief im Inneren doch enttäuscht.
    Der Wind fuhr energisch über den Platz, Paula schlug den Kragen ihrer Lederjacke hoch. Sie sah forschend zu Doris. Konnte ein fauliges Blatt auf einer nassen Bank so interessant sein, daß man völlig selbstvergessen darauf starrt?
    Max versuchte sich umzudrehen, der Ast bog sich weit nach unten, Paula sah es aus den Augenwinkeln. Die Knöchel ihrer Hände färbten sich weiß. Soviel sie durch die Blätter erkennen konnte, ging Max in die Knie, robbte auf allen Vieren zurück und richtete sich dann wieder auf. Das tote Holz stöhnte unter seinem Gewicht.
    Jedes andere Kind hätte spätestens jetzt nach seiner Mutter gerufen. Max nicht. Max würde eher wie eine madige Frucht vom Baum fallen,
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