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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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Haus hat zwei Weltkriege überstanden, zwischen diesen Mauern wurde schon öfter geboren, geliebt und gestorben, was sollten ihm Leute wie Doris, Vito oder auch Hermann Ullrich anhaben können? Es ist seltsam, philosophierte Paula müßig, man denkt, man besitzt ein Haus, dabei besitzt das Haus die Menschen.
    Sie wandte sich wieder an Jäckle, der mit gespanntem Gesichtsausdruck auf eine Antwort wartete.
    »Ja. ich verstehe das«, sagte Paula nur.
    »Dann ist es ja gut«, brummte er. »Ich hätte nicht gedacht, daß man als Pensionär und Hausmann so schnell verblödet.«
    »Sie sagte mir einmal, nicht die Polizei, sondern das böse Gerede der Leute hätte ihren Sohn ins Gefängnis gebracht.«
    »Also doch kein ›willkürlich ausgewähltes Opfer‹.«
    Paula sagte nichts dazu, sie war in Gedanken bereits wieder woanders.
    »Heute werde ich sie auspacken!« verkündete sie auf einmal.
    »Was?«
    »Die Kisten aus Tante Lillis Wohnung. Ich werde sie heute endlich auspacken und die Sachen aussortieren. Dann kannst du dir das Zimmer als Musikzimmer einrichten. Hier gibt es keine Nachbarn, die sich über den Radau beschweren.
    »Radau?«
    »Außerdem glaube ich nicht, daß wir Simon heute hier wegkriegen.« Sie wies aus dem Fenster. Es sah ganz danach aus, denn Simon hockte angeregt parlierend mit Laura auf dem Holzgestell seiner neuen Schaukel. Ab und zu ließ er sie von seinem Marmeladenbrot beißen, was Anton mit mißbilligendem Jaulen zur Kenntnis nahm.
    »Wie zwei Alte«, bemerkte Jäckle. »Soll ich dir helfen?«
    »Nein, lieber nicht.«
    Es war ein seltsames Gefühl, traurig und tröstlich zugleich, Lillis Kleider und persönliche Gegenstände zu sortieren, den Duft ihres Parfums zu atmen, der aus den Kisten aufstieg. Sie brachte es nicht übers Herz, die Dinge wegzugeben, obwohl sie selbst diese Sachen niemals tragen würde. Im Endeffekt wurde alles nur ein bißchen umgewühlt, um dann auf dem Speicher zu lagern, wo bereits die meisten von Lillis Möbeln aus der Münchner Wohnung standen. Paula konnte im Geiste Lillis Stimme hören, die sagte: ›Aber Kind, was willst du denn mit dem ganzen Plunder, schmeiß ihn raus!‹ ›Später, Tante Lilli, später‹, murmelte Paula vor sich hin und wischte sich die Augen. Vielleicht wäre sie in ein paar Jahren dazu fähig. Die große geschnitzte Ebenholzkassette nahm sie sich als letzte vor. Der Schmuck durfte natürlich nicht auf dem Speicher landen, vielleicht würde sie das eine oder andere Stück ab und zu tragen, obwohl Paula noch nie viel Wert auf Schmuck gelegt hatte. Es waren schöne Stücke dabei, alte Ringe und Anhänger, die von Lillis Mutter stammten, aber auch neue Broschen und Ohrringe, die von Lillis extravagantem Geschmack zeugten. Paula probierte ein Paar Ohrringe vor dem Spiegel an und eine Kette, die wie flüssiges Silber aussah. Die Dinge wirkten fremd an ihr. Sie legte sie zurück. Wie viele dieser alten Kästchen hatte auch dieses ein Geheimfach. Paula brauchte eine ganze Weile, bis sie es gefunden hatte. Mit klopfendem Herzen griff sie hinein. Was würde Lilli hier wohl versteckt haben? Noch mehr Brillantschmuck? Nein, eher einen Packen schlüpfriger Liebesbriefe mit blaßblauer Tinte und einem rosa Bändchen drum herum.
    Das Ergebnis war irritierend. Es waren lediglich zwei Schlüssel. Zwei gewöhnliche Schlüssel an einem Metallring mit einem billigen roten Plastikanhänger und der Aufschrift: ›Jugendamt, Bachgasse 9‹.
    Paula setzte sich mit weichen Knien auf das Bett. Eine Zeitlang, sie hätte nicht sagen können, wie lange, starrte sie gedankenverloren vor sich hin. Sie war so versunken, daß sie erschrocken hochfuhr, als Jäckle nach vorsichtigem Anklopfen den Kopf durch die Tür steckte und fragte: »Kommst du mit uns zum Eissalon?«
    »Sag mal, Jäckle«, fragte sie und sah durch ihn hindurch, »findest du, daß meine Tante Lilli sehr eitel war?«
    »Eitel?« Er trat ins Zimmer, rieb sich die unrasierten Wangen und überlegte. »Doch, ja. Sicher war sie eitel, aber auf nette Weise. Warum?«
    »Ach, nur so«, lächelte Paula.
    »Sie war eine tolle Frau.« Jäckle wickelte seine langen Arme um Paula.
    »Ja, das war sie«, sagte Paula und ließ die Schlüssel unauffällig in ihrer Hosentasche verschwinden. Vielleicht würde sie sie ihm irgendwann zeigen. Eines Tages, wenn sie wieder in der Lage sein würde, einem Menschen ganz zu vertrauen. Und dann würde es noch ein paar andere Dinge zu erzählen geben.
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