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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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Plätze waren belegt, es wurde ein letztes Mal gehustet, geschneuzt. Rocksäume herabgezogen, Sakkos geöffnet, Beine verknotet, Handtaschen verstaut. Nur ein Platz in der ersten Reihe war leer. Paula keuchte. Sie drehte sich um, gerade als Rainer Zolt, Barbara, Gitta und Frank sich in Positur stellten und Siggi das Zeichen zum Öffnen des Vorhangs geben wollte.
    »Mein Gott. Simon!« schrie sie auf. Es kümmerte sie nicht, daß man sie durch den Vorhang im Zuschauerraum hören konnte. »Er ist zu Simon!« Sie flog die Treppe hinunter, in den Probenraum und griff sich ihre Handtasche. Ihr Schlüsselbund war noch da. Klar, die Hühnchen saßen die ganze Zeit hier, er konnte es nicht wagen, es rauszunehmen. Paula rannte auf den Ausgang zu, wobei ihr Daniela in die Quere kam und weggestoßen wurde, was das Büfett gefährlich ins Wanken brachte. Ihr Wagen sprang erst beim dritten Versuch an, und beim Ausparken rammte sie einen dicken BMW, der die Einfahrt zur Hälfte blockierte. Während sie, alle roten Ampeln mißachtend, durch die fast leeren Straßen der kleinen Stadt jagte, arbeitete ihr Kopf bemerkenswert gut: Er muß die Tür aufbrechen. Es sei denn, er benutzt Doris’ Schlüssel, um an meine zu gelangen, falls die noch immer an Doris’ Schlüsselbrett hängen. Aber auch das kostet ihn Zeit, dachte sie, hoffte sie. Da, der Kindergarten. Schneller, Paula, schneller!
    Sie nahm die leichte Anhöhe mit Vollgas und schleuderte um die letzte Kurve. Sein silbergrauer Mercedes parkte ein Stück vom Tor entfernt. Paula ließ ihren Wagen mit offener Tür stehen, rannte durch das Tor, hetzte den Kiesweg entlang, auf die Haustür zu. Das Schloß war beschädigt. Es aufzubrechen mußte sehr einfach gewesen sein, es war uralt.
    Im Flur lag Anton, die Zunge hing ihm aus dem Maul. War er tot? Darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern. Manuela schlief, wie befürchtet, im Sessel. Einer ersten Regung folgend wollte Paula sofort in Simons Zimmer stürmen, aber dann kamen ihr Bedenken. Was, wenn er bewaffnet ist, mich angreift? Barbara hatte ihr kürzlich anvertraut, daß sie eine Pistole besäßen, seit in ihrem Haus eingebrochen worden war. Was, wenn er sie kommen gehört hatte und bereits auf sie wartete? Wer half dann Simon? Nein, derart kopflos durfte sie jetzt nicht vorgehen. Sie schlich hin zu Manuela. Der Fernseher lief, das war gut, eine willkommene Geräuschkulisse. Paula schüttelte sie grob, und als das Mädchen erschrocken die Augen aufriß, preßte sie ihr die Hand auf den Mund.
    »Pscht! Nicht schreien, ich bin es! Bist du wach?«
    »Mhmm …«
    »Hör zu. Hör genau zu! Da oben ist ein Mann bei Simon.«
    »Was?«
    »Leise! Du gehst jetzt in den Flur und rufst die Polizei an, klar? Einseinsnull. Und dann verschwindest du am besten nach draußen und wartest auf sie. Hast du verstanden?«
    Ja … doch«, stammelte sie verdattert. »Und Sie?«
    »Ich geh’ rauf.«
    »Aber wenn es ein Einbrecher ist?« kam die intelligente Frage.
    »Geh jetzt ans Telefon«, befahl Paula. Manuela gehorchte, ängstlich trat sie auf den Flur und lugte die schwach beleuchtete Treppe hinauf. Niemand zeigte sich.
    Paula eilte in die Küche und zog kurzerhand das zweitgrößte Messer aus dem Messerblock. Das größte lagerte noch im gerichtsmedizinischen Institut, als Beweismittel für Doris’ Verhandlung. Absurderweise mußte sie in diesem Augenblick an Schulzes Zeitungsbericht über Vitos Tod denken, in dem er so anschaulich beschrieben hatte, Vito sei mit einem »Ausbeinmesser« fast der Kopf weggeschnitten worden. Fachmännisch.
    Paula schlich Stufe für Stufe nach oben, überging die dritte und die sechste, da diese knarrten. Sie lauschte. Es war nichts zu hören. War das alles nur ein Irrtum, eines ihrer Hirngespinste? Aber nein, da waren das herausgerissene Schloß und sein Wagen vor der Tür. Außerdem spürte sie seine Anwesenheit körperlich. Er war da drin, bei ihrem Kind. Was tat er?
    Was immer es war, sie hätte keine Zeit zu verlieren. Sie knipste das Licht im Flur an, drückte die Klinke, und die Tür sprang weit auf. Licht fiel in den Raum.
    Hermann Ullrich stand am Fenster. Seine Schultern hingen kraftlos herunter, seine ganze Gestalt schien zusammengesunken zu sein. Er hatte ganz und gar nichts Bedrohliches an sich, und Paula ließ unwillkürlich das Messer sinken.
    »Ich habe dich kommen sehen«, sagte er. »Es ist vorbei. Endlich.« Er deutete auf Simon in seinem Bett. »Ihm ist nichts geschehen.«
    Wie zur Bestätigung
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