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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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Klammersäckchen aus Leinen schwang im Wind hin und her. Die alte Frau blieb gerne vor diesem Haus stehen. Wäre sie gewandter in der Sprache gewesen, hätte sie mit einem Wort ausdrücken können, warum: Es war sein Bilderbuchcharakter. Sie freute sich an den gehäkelten Spitzengardinen hinter den Sprossenfenstern und betrachtete jedes Mal die fröhlichen Motive aus Glas und Buntpapier, die hinter den Scheiben baumelten. Auf dem Treppenabsatz stand ein grünes Kinderfahrrad, darüber, an der Tür, hingen ein Blumenkranz aus Stroh und ein ovales Schild aus gebranntem Ton: Willkommen bei Doris + Jürgen + Max Körner. Das Schild sagte ihr nicht viel, sie hatte nie richtig lesen gelernt. Aber sie wußte, daß das Fahrrad einem blonden Jungen gehörte, der aussah wie ihr Kolja, früher, vor vielen Jahren. Es gab nur ein einziges verblaßtes Bild von ihm. Doch Koljas Junge hatte genauso ausgesehen, und von dem gab es Bilder, viele sogar, und bunte.
    Dienstags und freitags konnte man vor diesem Haus den Duft von frischgebackenem Brot riechen, fast die ganze Straße roch dann danach. Aber heute war Montag. Langsam ging sie weiter. Eine mollige Frau im leichten Pelzmantel, sie mußte gerade aus der Kapelle gekommen sein, schob einen rosafarbenen Kinderwagen vor sich her, das Kind bis zum Hals eingehüllt in Lammfell. Die Bosenkowa hatte diesen Wagen schon öfter vor einem der Reihenhäuser stehen sehen, an denen sie eben vorbeigegangen war. Das hohle Klopfen der Absätze beschleunigte sich auf Höhe der Bosenkowa. Die mollige Frau sprach mit ihrem Baby über das Essen. Genauer gesagt erzählte sie etwas von kriminellem Russenpack, das man durchfüttern müsse.
    Wie sauber hier alles war, bemerkte die Bosenkowa. Sogar die Luft war besser als unten in der Stadt, obwohl es auch dort nicht viel gab, was den weißblauen Himmel nachhaltig verunreinigt hätte. Keine Fabrikschlote, kaum Industrie, die große Ziegelei am Rande der Siedlung stand leer. Nirgends Müll, die Gehsteige waren sauber gefegt. Bis auf das sehr lange Stück schräg vor ihr. Das war voller Laub. Gelbliche Blätter von einem hohen Baum, dessen Namen sie nicht kannte. Weiter oben lag ein Teppich aus Nadeln unter einer ebenso hochgewachsenen Lärche. Ein gutes Stück vom Zaun entfernt schimmerten graue Mauern geheimnisvoll durch das Laub. Das Haus war viel älter als die anderen hier, hoch gebaut, mit Vorsprüngen, Winkeln und Erkern. Obwohl es offensichtlich lange vor den anderen dagewesen war, wirkte seine Anwesenheit nun unpassend, beinahe anmaßend. Der Garten war riesig, fast schon ein Park, aber nicht so gepflegt wie die kleineren Gärten. Weit hinten, am anderen Ende des Grundstücks, lag ein kleiner See, den man von hier aus nicht sehen konnte, wegen des dichten Gebüsches am Ufer.
    Das große Haus besaß als einziges keine richtige Autogarage, nur einen Holzschuppen. Die Bosenkowa, der auf ihren täglichen Wanderungen kaum etwas entging, wußte, was da drin war: ein Motorrad.
    Sie musterte den Garten hinter dem hohen eisernen Tor, dessen rostige Stäbe von einer wilden Rose umflochten wurden, und wackelte im Weitergehen mißbilligend mit dem Kopf. Eine Schande, dachte sie, wie das Grundstück verkommt.
    Hinter der Schimmel-Villa, wie die Einheimischen das Haus nannten, hörte der geteerte Gehsteig auf. Danach kam nur noch die kleine Marienkapelle. Sie stand seit zweihundert Jahren auf einem eigens für sie aufgeschütteten Hügel. Die Bosenkowa betrat den kühlen weißgekalkten Innenraum, kniete schwer atmend auf der vordersten Holzbank nieder und brabbelte leise, rhythmische Wörter in einer Sprache, die hier niemand verstand. Am Himmel teilten sich die Wolken, und durch das bleiverglaste Mosaikfenster an der Rückwand fiel ein goldener Streifen Nachmittagssonne auf den Altar mit der marmorblassen Maria, die ein nacktes Jesuskind auf dem Arm hielt.
    Die Kapelle, die Gebete, sie waren nur der äußere Anlaß für Lisaweta Bosenkowas beschwerlichen Weg aus der Stadt. Keine Mutter gesteht sich gerne ein, daß sie ihrem erwachsenen Sohn nachspioniert.
    Nach einer Weile stand sie steifgliedrig auf, ging um die Kapelle und betrachtete die Aussicht. Fahle Äcker und Wiesen, Kühe wie braune Punkte in der Landschaft, nicht weit von hier ein einzelner stattlicher Bauernhof. In der Ferne dösten ein paar Dörfer, rechts der kleine Wald mit dem stillen schwarzen See, an dessen Ufer die Villa lag. Links unten die Ziegelei mit ihren blinden Fensterhöhlen, sie
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