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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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sollte demnächst abgerissen werden. Dahinter dehnten sich die Schrebergärten. Es waren ungewöhnlich große, unterschiedlich genutzte Grundstücke: Anbauflächen für Gemüse, Wiesen mit soldatisch aufgereihten Obstbäumen, Kartoffeläcker und eine kleine Hühnerzucht. Dazwischen lagen einige Streifen Land brach; Unkraut überwucherte halbverfallene Gartenhäuschen, Büsche, dürrbraunes Gras und hohe, gelbblühende Nachtkerzen bildeten schier undurchdringliche Oasen der Wildnis, einst von der fleißigen Nachkriegsgeneration auf neunundneunzig Jahre gepachtet, dann von den Erben vernachlässigt oder vergessen.
    Ob er wieder in diesem leerstehenden Bauwagen war, den er sich zurechtgezimmert hatte? Inzwischen konnte man beinahe sagen, daß er auf dieser verwilderten Parzelle wohnte. Immer seltener kam er zu ihr nach Hause.
    Ihre Augen waren noch immer sehr gut, und sie entdeckte die Stelle, wo die Dachpappe seiner Behausung schwarz durchschimmerte. Nein, dorthin würde sie nicht gehen. Es war ihr zu weit und der Weg viel zu holprig, und Kolja wäre sehr gekränkt, wenn er merkte, daß sie ihm nachging. Lieber wollte sie umkehren und auf dem Heimweg noch am Spielplatz der Siedlung, gleich neben dem Kindergarten, vorbeischauen. Wenn er da auch nicht ist, dann ist es gut, dachte sie, dann ist er in seinem Wagen oder am See.
    Auf dem Spielplatz war es windig, Tropfen funkelten im nassen Laub, das Holz der Bank troff vor Nässe. Es hatte erst vor einer Stunde aufgehört zu regnen, und ab und zu kam jetzt die Sonne durch. Wie einsame Vögel hockten die beiden Frauen auf der schmalen Kante der Lehne. Wenige Meter entfernt spielten zwei kleine Jungen, aber nicht miteinander.
    Für die Jahreszeit zu kühl, hatte der Wetterbericht gemeldet. Paula fröstelte. Auch Doris hatte die Schultern hochgezogen, obwohl es ihre Idee gewesen war, hierher zu kommen.
    »Du siehst heute irgendwie zerknittert aus«, sagte sie zu Paula, »gab’s Ärger in der Redaktion? Hat dich dein Kollege Schulze wieder Teilzeitemanze genannt?«
    »Das auch.« Ein Lächeln verflüchtigte sich auf Paulas schmalem Gesicht, ehe es richtig existiert hatte. »Hast du übrigens heute seinen tollen Artikel gelesen? Den dezenten Hinweis auf die alleinerziehende Mutter und den deutschstämmigen Russen? Aber der Clou war das mit dem Jäckle und der Sicherheit unserer Kinder.«
    »So ganz unrecht hat er ja nicht«, räumte Doris vorsichtig ein. »Ich jedenfalls lasse Max nicht mehr alleine raus.«
    »Darum geht’s doch gar nicht«, erklärte Paula ungeduldig. »Der Kerl sollte einen neutralen Bericht abfassen und nicht Volkes Stimme wiedergeben. Wenn er doch bloß endlich zur Bild -Zeitung ginge! Der Jäckle, der wird wieder stinksauer sein.« Paula verdrehte die Augen, dann seufzte sie: »Aber was soll’s. Über so was rege ich mich ja schon lange nicht mehr auf.«
    »Dann ist es wohl wegen der Frau vom Jugendamt.«
    Paula sah ihre Freundin verwundert von der Seite an.
    »In der Siedlung haben die Fenster Augen und die Zaunlatten Ohren«, erklärte Doris auf ihre stumme Frage, »hast du das vergessen?«
    »Wie könnte ich.« Paulas etwas zu großer Mund preßte sich zusammen, dann sagte sie: »Ja, sie war schon wieder da.«
    »Was will sie denn andauernd von dir?«
    »Wenn ich das wüßte. Vor einem halben Jahr, kurz nach der Scheidung, kam sie zum ersten Mal. Sie hat das Haus inspiziert wie ein Rauschgifthund und gefragt, warum Simon nicht getauft sei. Es sei ihre Pflicht, hat sie gesagt, bei geschiedenen und ledigen Müttern müsse das Jugendamt nach dem Rechten sehen. Nur Verheiratete dürfen mit ihren Kindern anstellen, was sie wollen. Danach habe ich nichts mehr gehört, anscheinend hatte sie es doch gefunden, das Rechte. Und jetzt, auf einmal, steht sie schon das zweite Mal innerhalb eines Monats vor der Tür.« Eine steile Falte bohrte sich zwischen ihre dunkelgrauen Augen. »Routinekontrolle, behauptet sie.«
    »Klaus?« orakelte Doris.
    »Unwahrscheinlich. Er hat seit Monaten keinerlei Kontakt zu Simon. Er interessiert ihn nicht, seit er den Prozeß verloren hat. Es sei denn, er will mich ärgern, aber eigentlich haben wir diese Spielchen ja längst hinter uns.«
    »Du mußt aufpassen«, meinte Doris, »Leute vom Jugendamt haben einen ziemlichen Einfluß vor Gericht.«
    Paula durchpflügte ihr streichholzkurzes Haar mit einer nervösen Bewegung und sah zu Simon hinüber. Eine riesige schwarze Krähe ließ sich auf dem Baum neben dem Sandkasten nieder. Sie
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