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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition)
Autoren: Jed Rubenfeld
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Sie die Sache endlich zu Ende«, verlangte Mr. Banwell.
    Hugel bedachte den Eigentümer des Balmoral mit einem scheelen Blick. Er zückte Stift und Papier. »Name?«
    »Wessen Name?« Das Knurren in Banwells Stimme ließ den Verwalter zusammenfahren. »Mein Name?«
    »Name der Verstorbenen.«
    »Elizabeth Riverford«, erwiderte Banwell.
    »Alter?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Soviel ich weiß, sind Sie mit der Familie bekannt.«
    »Ich kenne ihren Vater«, erklärte Banwell. »Er ist Banker in Chicago.«
    »Verstehe. Seine Adresse haben Sie nicht zufällig?«
    »Natürlich habe ich seine Adresse.«
    Die beiden Männer starrten sich an.
    »Hätten Sie dann die Güte«, fragte Hugel mit eisiger Stimme, »mir diese Adresse zu geben?«
    »Ich gebe sie McClellan.«
    Hugel mahlte wieder mit den Backenzähnen. »Ich bin für diese Untersuchung zuständig, nicht der Bürgermeister.«
    »Wir werden ja sehen, wie lange Sie noch dafür zuständig sind«, entgegnete Banwell und forderte den Coroner ein zweites Mal auf, die Sache zu beenden. Die Familie Riverford, so erklärte er, hatte den Wunsch geäußert, dass der Leichnam des Mädchens nach Hause geschickt wurde, und diesem Wunsch wollte er umgehend nachkommen.
    Hugel verwahrte sich gegen dieses Ansinnen. Bei gewaltsamen Todesfällen war es gesetzlich vorgeschrieben, dass die Untersuchungsbehörde eine Autopsie der Leiche vornahm.
    »Nicht bei dieser Leiche.« Banwell verwies den Coroner auf den Bürgermeister, falls er eine Klarstellung seiner Zuständigkeiten benötigte.
    Darauf konterte Hugel, dass er Anordnungen ausschließlich von einem Richter entgegennahm. Wenn ihn jemand davon abhalten wollte, Miss Riverfords Leiche zur Autopsie in die Innenstadt zu bringen, würde er dafür sorgen, dass dieser Gesetzesbruch mit aller Schärfe geahndet wurde. Als sich Mr. Banwell von dieser Drohung unbeeindruckt zeigte, fügte der Coroner hinzu, dass er einen Reporter des Herald kannte, der großes Interesse an Meldungen über Mord und Behinderung der Justiz hatte. Widerstrebend gab Banwell nach.
    Der Coroner hatte seine alte, sperrige Boxkamera mitgebracht und machte sich jetzt ans Werk. Nach jeder rauchenden Detonation seines Blitzlichts ersetzte er die belichtete Platte durch eine neue. Sollten sich diese Bilder im Herald wiederfinden, bemerkte Banwell, konnte sich der Coroner darauf verlassen, dass er nie wieder eine Arbeit finden würde, weder in New York noch sonst wo. Hugel würdigte ihn keiner Antwort.
    Plötzlich wurde das Zimmer von einem seltsamen Wimmern erfüllt, wie vom leisen Quietschen einer unmöglich hoch gestimmten Geige. Das Geräusch war nicht zu orten, es schien von überall und nirgends zugleich zu kommen. Es schwoll immer mehr an, bis es fast ein Jaulen war. Das Dienstmädchen schrie. Als ihr Schrei verklungen war, war nichts mehr zu hören.
    Mr. Banwell brach das Schweigen. »Was war das, verdammt?«, fuhr er den Verwalter an.
    »Ich weiß nicht, Sir. Es ist nicht das erste Mal. Vielleicht hat sich in den Mauern etwas abgelagert?«
    »Das werden wir schon rausfinden«, knurrte Banwell.
    Nachdem der Coroner mit dem Fotografieren fertig war, verkündete er seine Absicht, sogleich aufzubrechen und die Leiche mitzunehmen. Er hatte nicht vor, das Personal und die benachbarten Hausbewohner zu befragen – das war nicht seine Aufgabe – oder auf Detective Littlemore zu warten. Bei dieser Hitze, erklärte er, würde die Verwesung schnell einsetzen, wenn die Leiche nicht sofort gekühlt wurde. Mithilfe von zwei Liftboys wurde die Leiche des Mädchens in einem Lastenaufzug in den Keller und von dort in eine Seitengasse geschafft, wo bereits der Fahrer des Coroners wartete.
    Als Detective Jimmy Littlemore zwei Stunden später in Zivilkleidung eintraf, war er konsterniert. Die Botenjungen des Bürgermeisters hatten einige Zeit gebraucht, um Littlemore aufzuspüren. Der Detective hatte sich im Untergeschoss des noch immer nicht ganz fertiggestellten neuen Polizeihauptquartiers in der Centre Street aufgehalten und den Schießstand ausprobiert. Littlemore hatte den Auftrag, eine gründliche Untersuchung des Tatorts durchzuführen. Doch er fand weder einen Tatort vor noch ein Mordopfer. Mr. Banwell war nicht bereit, mit ihm zu reden. Auch das Personal zeigte sich erstaunlich verschlossen.
    Und eine Person konnte Detective Littlemore überhaupt nicht auftreiben: das Dienstmädchen, das die Leiche gefunden hatte. Zwischen Coroner Hugels Aufbruch und dem Eintreffen des
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