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Mord an der Leine

Mord an der Leine

Titel: Mord an der Leine
Autoren: Hannes Nygaard
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in dem Geschäft wohl zugetragen
hatte. Dass dort ein Mensch kaltblütig erschossen worden war, galt als
gesichert. Das geifernde Interesse an der Sensation hielt sich die Waage mit
dem Entsetzen, das sich in manche Gesichter gegraben hatte.
    Hier, bei uns, da gibt es so etwas nicht. Das
geschieht immer nur woanders – irgendwo in der Ferne. Auch das ist schon
unfassbar.
    Es hatte nur Minuten gedauert, bis sich zwei
Streifenwagen der nahen örtlichen Polizeizentralstation mit zuckendem Blaulicht
und gellendem Martinshorn den Weg durch die Fußgängerzone gebahnt hatten. Der
Rettungswagen und der Notarzt waren genauso zügig am Tatort eingetroffen. Jetzt
standen ein älterer unscheinbarer VW LT und zwei VW Passat vor der Tür, auf deren Dächern
ein mobiles Blaulicht befestigt war.
    Hauptkommissar Thomas Vollmers hatte sich an den
Notarzt gewandt. Der junge Mediziner stand im Eingang des Geschäfts und wischte
sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
    »So einen Einsatz hatten wir noch nie«, gestand der
Arzt.
    »Können Sie schon etwas sagen?«, fragte Vollmers. Der
Leiter des K1, das im Volksmund vereinfacht »die Mordkommission« genannt wird,
von der zuständigen Bezirkskriminalinspektion Kiel war umgehend mit seinen
Mitarbeitern nach Eckernförde gefahren. Er war fast gleichzeitig mit den
Beamten des K6, der Spurensicherung, eingetroffen. Die Kriminaltechniker hatten
einen Sichtschutz vor dem Eingang und den Fenstern des Ladens aufgebaut und
gingen, in ihren weißen Ganzkörperschutzanzügen gewandet, professionell ihrer
Arbeit nach.
    »Der Mann muss sofort tot gewesen sein«, sagte der
Arzt. »Wie ich schon sagte – das ist ein außergewöhnlicher Einsatz. Ich kann
nicht viel dazu sagen. Es sieht so aus, aus hätte man zwei Schüsse auf das
Opfer abgegeben. Einen in den Kopf, den zweiten ins Herz.«
    Der Arzt sah an Vollmers vorbei, sagte: »Entschuldigung«, und zwängte sich am Hauptkommissar vorbei. »Ich muss mich um
die eine Frau vom Personal kümmern«, erklärte der Mediziner.
    Vollmers strich sich mit der Hand über den gepflegten
weißen Bart. »Hmh«, knurrte er dabei. Aus mehreren Schritten Abstand sah er auf
das Opfer.
    Havenstein hieß der Mann, hatte die Filialleiterin der
Polizei gesagt. Man kannte ihn als Kunden.
    »Wissen Sie, wo er wohnt?«, fragte Vollmers die
schlanke Frau.
    »Moment«, erwiderte sie. Mit zittrigen Fingern gab sie
etwas in den Computer ein und nannte dann die Anschrift.
    »Wo ist das?«
    Verena Holl, so hieß die Frau, erklärte dem Beamten
den Standort der Wohnung direkt am Strand.
    »Haben Sie noch mehr Informationen gespeichert?«
    Frau Holl nickte. »Robert ist der Vorname.« Sie nannte
eine Festnetz- und eine Mobilfunknummer.
    Vollmers wählte die Mobilnummer an und musste
schmunzeln, als der Kriminaltechniker, der sich gerade mit dem Toten
beschäftigte, bei Ertönen der ersten Takte von Beethovens Neunter aus den
Taschen des Opfers erschrocken in die Höhe fuhr.
    »Ich bin das«, erklärte Vollmers, als der Beamte nach
dem Handy angeln wollte.
    Ein unfreundlicher Blick streifte den Hauptkommissar.
    »Ist Herr Havenstein verheiratet?«
    Frau Holl zuckte die Schultern. »Das tut mir leid. Da
kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Er kam gelegentlich zu uns. Meistens hatte
er spezielle Wünsche. Wir haben ihm die Bücher dann bestellt.«
    »Hat er die Ware immer selbst abgeholt?«
    Die Buchhändlerin nickte. »Ja.« Dann zog sie die Stirn
kraus. »Warten Sie. Vor Kurzem war er in Begleitung einer Frau hier. Sie ging
ihm bis zur Schulter. Ich erinnere mich, dass die Frau schwarze Haare hatte.
Genau. Deutlich waren die ersten silbernen Streifen zu erkennen.«
    »War Herr Havenstein öfter in Begleitung dieser Dame
hier?«
    »Ich kann mich nur an das eine Mal erinnern.«
    »Und sonst?«
    »Ich bin nicht immer hier. Und – wie gesagt – er war
nicht ständig Kunde, sondern kam nur gelegentlich vorbei. Aber ich habe ihn
sonst immer allein gesehen.«
    »Wollte Havenstein heute zu Ihnen?«
    »Moment«, sagte Frau Holl, gab erneut etwas ein und
erklärte: »Er hatte zwei Bücher bestellt.« Sie wartete einen Moment, dann las
sie vor: »Das eine ist: ›Unheimliche Energie – Kernspaltung zwischen Bombe und
Kraftwerk‹.«
    »Bitte?«, fragte Vollmers erstaunt. »Und das zweite?«
    »› MDS und
akute myeloische Leukämie‹.«
    Vollmers schüttelte ungläubig den Kopf. »Kommt so
etwas öfter vor?«
    »Was?«, antwortete Frau Holl mit einer Gegenfrage.
    »Ich meine,
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