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Mord an der Leine

Mord an der Leine

Titel: Mord an der Leine
Autoren: Hannes Nygaard
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dem Idyll keine Aufmerksamkeit
geschenkt. Er hatte die halbe Nacht durchgearbeitet, bis ihn die Müdigkeit
übermannt hatte. Es war ein unruhiger Schlaf gewesen. Immer wieder war er
hochgeschreckt, weil sein rastloser Geist sich auch im Ruhen nicht von dem
Thema lösen konnte, mit dem er sich beschäftigte.
    Ein kurzer Gang durch d as Bad, ein hastiges Frühstück,
und dann hatte sich Havenstein wieder an sein Notebook gesetzt und
weitergearbeitet. Als er zufrieden ein letztes Mal auf das Symbol »Speichern«
drückte, war die große Kaffeekanne leer, und der Aschenbecher auf seinem
Arbeitsplatz lief über.
    Havenstein reckte sich, zog den Memory-Stick aus
seinem Notebook, legte ihn auf den Schreibtisch, stand auf und zog sich an.
    Kurz darauf verließ er die Wohnung. Er hatte keinen
Blick für die Aussicht, die sich ihm bot, für die Schiffe im Hafen, in dessen
durch eine Mole geschützten ruhigen Gewässern es von Feuerquallen wimmelte.
Havenstein beachtete die Touristen nicht, die im Müßiggang vom Stadthafen aus
am Strandweg entlangschlenderten oder über den Bohlenweg zum rot-weiß
gestreiften Leuchtturm spazierten, der die Marina begrenzte. Im Erdgeschoss
seines Hauses residierten ein Mietservice und ein Schiffsbüro, dessen Fenster
mit dem Modell eines Segelvollschiffs immer wieder neugierige Blicke von
Passanten anzog. Vor der benachbarten Eisdiele saß eine Handvoll junger Leute
in den Strandkörben, die der Besitzer als originelle Sitzgelegenheit für seine
Gäste im Freien aufgestellt hatte.
    Havenstein wandte sich nach rechts. Gegenüber lag der
Pavillon des Ostsee-Info-Centers mit dem Café, das zu dieser Stunde gut besucht
war. Zu den Besuchern gehörte auch der Mann mit dem südländischen Aussehen, der
sich bei Havensteins Erscheinen rasch erhob und seinen Latte macchiato halb
ausgetrunken zurückließ. Er griff in seine Sakkotasche, fingerte einen
Geldschein hervor und warf ihn achtlos auf den Tisch.
    »He, Sie«, rief ihm die junge Bedienung hinterher, als
er raschen Schritts zur Promenade ging. »Ihr Latte …«
    Stumm zeigte er auf den Platz, an dem er gesessen
hatte. Die junge Frau legte den kurzen Weg zurück, sah den Zehneuroschein,
schaute dem Gast hinterher und steckte das Geld mit einem Achselzucken ein.
    Havenstein warf einen Blick auf das hölzerne
Piratenschiff, das auf dem Sandstrand lag und Kindern als willkommenes
Spielobjekt diente. Jetzt stand eine Frau mit einem kleinen Rucksack, auf dem
Teddybären aufgedruckt waren, am Ruder. Sie hielt sich ein rotes Halstuch vor
Mund und Nase und lachte in das Kameraobjektiv, das ihr im Sand stehender
Begleiter auf sie gerichtet hatte.
    Für einen winzigen Moment entlockte diese Szene
Havenstein ein Lächeln.
    Automatisch steckte er sich eine neue Zigarette an.
Dann nickte er einer älteren Frau zu, die auf einem Balkon des Nachbarhauses
stand und den vorbeipromenierenden Menschen nachsah.
    Havenstein folgte mit ausholendem Schritt dem
gepflasterten Weg, der am Strand Richtung Stadthalle und Meerwasserwellenbad
führte. Er nahm nicht wahr, dass die Bäume, die den Weg wie ein Laubengang
überragten, für die Jahreszeit noch erstaunlich grün waren. An einer Stelle
wich er einer Gruppe Senioren aus, die ihm entgegenkam und Havenstein zwang,
fast einen der hüfthohen Lampenpfähle zu streifen, die den Weg bei Dunkelheit
in ein dezentes Licht tauchten. Er bog nach hundert Metern ab, durchquerte
einen begrünten Innenhof, der von Wohnblocks gesäumt wurde, und stieß
gedankenverloren mit einem Mann in blauer Latzhose zusammen, der ihm mit einer
Leiter unterm Arm in einem Torweg entgegenkam.
    »He«, knurrte der Handwerker unwirsch, bevor er seinen
Weg fortsetzte.
    Das unscheinbare Chinarestaurant zur Linken war um
diese Zeit noch geschlossen.
    Havenstein verließ die Wohnanlage und kreuzte eine
Straße namens Jungfernstieg, die nichts mit Hamburgs Prachtstraße gemein hatte.
    Der kopfsteingepflasterte Gang hieß »Pastorengang« und
war Teil der Eckernförder Altstadt. Dieser Abschnitt gehörte allerdings nicht
zu den romantischen Ecken, sondern führte durch eher trist wirkende Altbauten
und Hinterhöfe. Aus den Augenwinkeln warf Havenstein automatisch einen Blick
auf ein Dach, in dem jemand mit viel Mühe ein Mosaik aus Dachpfannen gelegt
hatte, das ein Mädchen darstellte. An der Gudewerdtstraße öffnete sich der Gang
zu einem kleinen Platz, der von windschiefen, aber malerischen Häusern gesäumt
wurde. In einer kleinen Grünanlage stand eine
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