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Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: T. Aaron Payton
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Ladenbesitzer diesen Brief.“ Er hielt dem Jungen das Blatt Papier hin, und dieser schnappte es sich und flitzte dann aus Adams Reichweite, so schnell er nur konnte. Dummer Junge. Adam hätte ihn mühelos fangen können , wenn er gewollt hätte. Bevor er sich das Bein verletzt hatte, war er schnell genug gewesen, Hirsche und Wildschweine einzufangen, ohne außer Atem zu geraten. Wenn die Situation es erforderte, konnte er den Schmerz alter Wunden ignorieren und diese Geschwindigkeit beinahe wieder erreichen.
    Adam warf dem Jungen eine Münze hin. Für seine Verhältnisse war es ein Hungerlohn, doch den Jungen konnte es einen Tag lang zu einem kleinen König machen. Leider auch zu einem Ziel für jene, die lieber stahlen, als Botengänge zu erledigen. „Jetzt mach schnell.“
    „Soll ich eine Antwort bringen?“ Dieser Junge war wagemutiger oder brauchte vielleicht dringender Geld als die meisten seiner Kameraden.
    „Nein. Es wird keine Antwort kommen.“ Es war keine erforderlich. Die Vorgehensweise war inzwischen Routine. Der Mann im Süßwarenladen würde seinem Auftraggeber Bescheid geben, der wiederum spät nachts Männer schicken würde, um das neueste misslungene Experiment abzuholen. Adam hoffte, sie würden auch ein neues Versuchsobjekt vorbeibringen. In London fanden sich immer tote junge Frauen, vor allem in den Kneipen und Spielhöllen Southwarks, den engen kleinen Straßen Alsatias, in den von Lampen beleuchteten Gassen Limehouses, in den unzähligen Bordellen des East End. Zumindest in jenen Bereichen, die nicht zugemauert worden waren, um die Stadt vor den siedenden chemischen Reaktionen und immer brennenden Feuern im Innern zu retten.
    Adam kehrte in seine Eingangshalle zurück und war bereits müde beim Gedanken an die Arbeit, die vor ihm lag. Er würde der Frau etwas Fleisch zu fressen geben. Menschenfleisch hatte er im Moment keines da. In Ermangelung übriggebliebener Leichen gab er den geistlosen Wiederbelebten Fleischabfälle, weil sie billig waren: Nieren, Lungen, Gehirne. Nachdem er sie gefüttert hatte, würde er sie mit Äther betäuben. Zum Glück atmeten die von ihrer Art noch, sodass Äther bei ihnen wirkte. Einem lebenden Menschen Essen zu geben und ihn dann in Narkose zu versetzen, war gefährlich, sozusagen eine Aufforderung zum Übergeben und zum anschließenden Ersticken. Aber die Toten vertrugen fast alles.
    Wenn sie bewusstlos war, würde er ihr Haar abschneiden und es an die Perückenmacher geben. Seine Partner hatten so viele Möglichkeiten, sich zu bereichern. Dann würde er ihre Schädeldecke öffnen und die notwendigen Veränderungen in ihrem Gehirn vornehmen. Das Gerät, das er dort implantieren würde, machte sich die jüngsten Fortschritte in magnetischer Technologie zunutze und hatte eine höchst bemerkenswerte Wirkung auf das Verhalten. Das heißhungrige, unmenschlich starke Geschöpf, das er geschaffen hatte, würde fügsam und sanftmütig erwachen und in der Lage sein, einfachen Anweisungen zu folgen. Obwohl sie den Anschein gehorsamer Lebendigkeit erwecken würde, würde sie keinerlei Selbst besitzen. Sie würde unfähig sein, zu denken oder wahre Gefühle zu empfinden. Trotzdem dachte Adam nicht gern lange darüber nach, zu welchen Zwecken seine Partner sie gebrauchen würden. Vielleicht würden sie sie in einem der niedrigsten der nun illegalen Bordelle unterbringen und als lebendes Mädchen ausgeben, das angeblich stark unter Drogen gesetzt worden war. Er schauderte.
    Adam zog den Vorhang vor seiner Tür beiseite und sah auf die leere Straße. Er grübelte über die Stadt da draußen nach, und seine Gedanken wanderten von der Liebe, die sein Leben beherrschte, zum Dreck der Menschheit. London, Opfer dreier Großbrände und unzähliger kleinerer, der ewige Phönix. Jedes Mal neu aufgebaut, selbst nach dem alchemistischen Brand von 1829. Teile dieses Feuers flackerten noch immer in grünlichen Flammen. Soweit man wusste, könnten sie für immer in dem Teil der Stadt brennen, der hinter Mauern verborgen lag. Die Menschen, die zu nah an dem abgeriegelten Gebiet schliefen, litten angeblich unter entsetzlichen Träumen und erfuhren manchmal wundersame Heilung. Adam schenkte solchen Anekdoten jedoch wenig Vertrauen.
    Die Einwohner von London trotzten diesen immer wieder auftretenden Opferfeuern in ihrer Stadt. Sie atmeten weiter, paarten sich, spielten um Geld, schrieben, komponierten Musik, tranken Laudanum, rauchten Opium, erstachen sich gegenseitig, studierten die
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