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Moonsurfer

Moonsurfer

Titel: Moonsurfer
Autoren: Jan Birck
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    Steven hockt noch immer bibbernd vor dem modrigen Teppich unter dem mächtigen Tisch. Er wagt keine noch so kleine Bewegung. Die Schmeißfliegen haben ihn entdeckt und landen jetzt auch auf seinen Lippen.
    Im spärlichen Licht der Kerzen offenbart sich der große Wohnraum einer spanischen Hazienda. Ein steinerner Kamin, schwere Holzmöbel. An den Wänden indianische Webdecken, Ölgemälde, Szenen von Seeschlachten. Degen,Säbel, Entermesser und Steinschlosspistolen. Hoch über der Szene schwebt ein riesiger Ventilator, so schief, dass er sich schon sehr lange nicht mehr bewegt haben dürfte. Spinnweben überall, so dicht, als wollten sie jeden Gegenstand im Raum nach und nach zu Staub verdauen. Die Luft ist heiß und stickig.
    Verwesungsgeruch.
    Der gespenstische Greis, der sich Grumble genannt hatte, löst seinen Oberkörper langsam aus dem zerschlissenen Sessel, mit dem er verwachsen gewesen zu sein schien. Staubend und knirschend neigt er sich nach vorne, hebt seinen klapprigen Arm und zeigt mit knöchernem Finger auf Steven. Seine andere Hand legt sich auf den Griff eines riesigen rostigen Säbels, den er in den Holzboden zwischen die Reste seiner Stiefel gerammt hat. Dann beginnt Grumble abermals, mit seiner Ankerkettenstimme zu rasseln.
    »Hört gut zu … Seven Waves … wenn Ihr nicht … so enden wollt … wie ich!« Die Worte folgen einander unendlich müde und langsam, der Mundgeruch des Alten ist unerträglich. Steven läuft Gefahr, seine letzte Mahlzeit vor die Füße des Greises zu würgen.
    »Seht Ihr das?«, röchelt der Alte und wendet sich staubend und bröselnd zur Seite. Die Fliegen stieben auf. »Seht Ihr die Planke dort drüben an der Wand?« Steven kneift die Augen zusammen und starrt in die dunkelste Ecke des Raumes, in die der Finger des Alten deutet. Sein Blick irrt eine Weile zwischen mottenzerfressenen Vorhängen, schiefen Bildern und ein Paar gekreuzter Degen herum, auf der Suche nach einer Planke. Ein ausgestopfter Hammerhai mit durchlöcherter Rückenflosse schwebtdurch den Raum. Darunter erkennt Steven schemenhaft einen Gegenstand, der zwischen all dem Trödel aus einem Piratenfilm völlig fehl am Platz wirkt:
    Ein Surfboard.
    »M…meinen Sie d…das Longboard dort drüben, Sir?«
    Grumble knirscht zurück in seine Ausgangsposition. Die Insekten können sich wieder auf ihrem Wirt sammeln.
    Steven wartet.
    Irgendwann flüstert die Stimme aus dem Schmeißfliegenschwarm:
    »Sehr gut. Aber ich bin müde. Reden wir nicht lange um die Angelegenheit herum: Die Planke … hat besondere Kräfte. Sie kann sogar ein Bürschchen wie Euch, Seven Waves, eine Monsterwelle reiten lassen. Jedoch …« Sein Knochenfinger hebt sich mahnend in den Kerzenschein. »… Ihr habt zugleich eine Aufgabe …«
    Stille. Das knochige Wesen schließt sein intaktes Auge, sodass Steven nur noch weißblind angestarrt wird. Es röchelt kaum mehr vernehmbar, bis es plötzlich fortfährt:
    »Ihr werdet bei Vollmond eine Siebte Welle reiten, genau ab dem Moment gezählt, in dem die Sonne einen letzten Strahl über den Horizont schickt!«
    Grumble sinkt endgültig zurück in seinen Sessel und schläft augenblicklich ein, während sich die Fliegen weiter auf seinem Schädel versammeln, bis er fast vollständig unter den Insekten verschwindet. Nur sein Röcheln verrät, dass er sich noch nicht ganz im Reich der Toten befindet.
    Steven starrt auf das Surfboard. Im flackerndenLichtschein der Kerzen scheint es sich beinahe zu winden wie ein Gefangener in seinen Ketten.
    Vorsichtig richtet er sich auf, wagt ein paar Schritte über die ächzenden Holzdielen, umrundet den Tisch, duckt sich unter dem Hai hindurch und steht schließlich vor dem Board. Mit der flachen Hand fährt er durch die Staubschicht.
    Das Brett ist völlig schmucklos, grob geschnitzt und von Rissen durchzogen. Dieses alte Teil, überlegt Steven, soll aus mir einen Big-Wave-Surfer machen? Hokuspokus? Was für ein Quatsch! Nichts wie weg hier   …
Der Van vor dem Grundstück, auf dem die Hazienda eins mit dem Dschungel geworden ist. Nacht, Regen, immer noch Sturm
    Steven hat es irgendwie zurück zum Chevy geschafft und kriecht erschöpft auf den Beifahrersitz. Seine Mutter schreckt hoch.
    »U-und?«, fragt sie, während sie sich die müden Augen reibt.
    Doch er antwortet nur: »Hier ist nichts. Lass uns weiterfahren.«
    Eine halbe Stunde später, gegen Mitternacht, aber nur eine Stichstraße weiter, stehen Steven und seine Mutter
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