Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
178 - Die vergessene Macht

178 - Die vergessene Macht

Titel: 178 - Die vergessene Macht
Autoren: Stephanie Seidel
Vom Netzwerk:
30. Juni 2521
    Cornwall und Devon, zwei Socks-Territorien in Südengland. Dazwischen ein schmaler Grenzfluss, so flach, dass man bequem hindurch waten konnte, und das taten auch viele. Besonders jetzt im Sommer, denn an den Ufern wuchs ein Wall aus Brabeelenbüschen, übervoll mit saftigen roten Früchten. Sie dufteten verlockend.
    Es war früher Nachmittag. Wind brachte das Schilf zum Rascheln, in dem ein paar Kwötschis die Hitze des Tages verschliefen. Reglos dümpelten die fetten Riesenkröten an der Oberfläche und beobachteten träge, wie zwei Bellits im Tiefflug herankamen. Sie folgten dem Wasserlauf, und ihre großen Libellenflügel glitzerten dabei wie Juwelen.
    Alles wirkte so friedlich.
    Doch auf den Wildwiesen jenseits der Brabeelensträucher herrschte unnatürliche Stille: Die Grillen waren verstummt – das komplette Heer, mit einem Schlag. Es war ein Zeichen nahender Gefahr, und wer konnte, brachte sich jetzt in Sicherheit.
    Lautlos sanken die Kwötschis unter Wasser. Der vordere Bellit schwenkte unvermittelt ab und floh landeinwärts. Sein Schatten streifte eine Brücke.
    Im nächsten Moment flog ein Stein über den Fluss. Der zweite Bellit kreuzte die Flugbahn, wurde getroffen und geriet ins Taumeln. Sofort schoss ein Kwötschi aus dem Wasser, schnellte seine Krötenzunge aus und riss die Riesenlibelle in den Tod.
    Die Wellen hatten sich noch nicht wieder beruhigt, da prasselte ein wahrer Steinhagel an das Ufergestade von Devon. Er zielte auf eine Horde Socks, die hinter dem Brabeelenwall Stellung bezogen hatten, und er wurde mit Pfeilen beantwortet. Die Stille war vorbei.
    Auf beiden Seiten des Flusses drängten plötzlich Krieger aus der Deckung. Sie brüllten Hassparolen übers Wasser, drohten mit Äxten und Schwertern. Weitere Steine flogen. Erstes Blut floss.
    In Devon fiel ein Mann die Böschung herunter. Er ertrank im Klammergriff der Kwötschis. Hinter seiner Linie kräuselte vereinzelt Rauch auf, dann zischten Brandpfeile durch die Luft. Drei Socks aus Cornwall wurden getroffen. Sie stürzten in den Fluss, und die unparteiischen Kwötschis fraßen auch sie.
    Doch der Jubel der Devon-Socks währte nicht lange, denn am Cornwall-Ufer hoben sich riesige braune Leiber in die Luft. Es waren Flugandronen, und sie trugen außer ihren Reitern große Netze über den Fluss, angefüllt mit Gesteinsbrocken.
    Die Devon-Socks kannten keine Luftangriffe. Sie reagierten panisch – und falsch. Statt auseinander zu laufen, rottete sich der ganze Clan zusammen und griff mit allen verfügbaren Waffen an. Lanzen, Pfeile und sogar ein Schwert flogen himmelwärts. Doch die chitingepanzerten Flugandronen widerstanden dem Beschuss, und es gelang ihren Reitern, sie in Position zu bringen.
    Zehn, elf Speerlängen über den Köpfen der Devon-Socks verharrten die Rieseninsekten in der Luft; surrend, reglos, mit tödlicher Fracht bepackt. Als die Andronenreiter ihre Messer zückten und anfingen, die Haltestricke der Netze durchzusägen, machte sich der Warlord von Devon klammheimlich aus dem Staub.
    Der Grund für diesen Kleinkrieg war die Brücke.
    Grauer Bruchstein, vier Pylonen, schmaler Rand – mehr stellte das Objekt der Begierde nicht dar. Es hatte auch keinen Nutzen, denn der ehemals tiefe Fluss ließ sich heutzutage bequem durchwaten.
    Doch den Warlords im Grenzgebiet ging es nicht um trockene Füße, sondern um Macht. Weder der cornische noch der aus Devon konnte sich erklären, wie man Steine zu einer Bogenbrücke zusammenfügt. Sie hielten das Relikt aus viktorianischer Zeit für ein Werk der Götter, deshalb wollte jeder der beiden das prestigeträchtige Wegerecht erringen.
    Das Gerangel hatte schon viele Opfer gekostet, und ein Ende war nicht in Sicht: Der Techno-Community in Devon waren die Socks egal, der Grandlord von Cornwall hatte andere Sorgen. Er lebte oben an der Küste, weit weg von den zänkischen Warlords.
    Während der letzten Tage hatte dort mehrmals die Erde gebebt. Das tat sie heute erneut, und zwar just in dem Moment, als die Andronenreiter ihre Last abwarfen.
    Diesmal war das Beben so stark, dass man es noch an dem kleinen Grenzfluss spüren konnte, was die Devon-Socks panisch auseinander spritzen ließ und etliche davor bewahrte, gesteinigt zu werden.
    Die Menschen an der Küste hatten weniger Glück. Der Boden dort war unterhöhlt von vergessenen Zinnminen aus der Zeit vor Kristofluu und entsprechend instabil.
    Jeder Erdstoß riss tiefe Gräben auf. Manche waren groß genug, um ein halbes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher