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Monströse Welten 2: Hobbs Land

Monströse Welten 2: Hobbs Land

Titel: Monströse Welten 2: Hobbs Land
Autoren: Sheri S. Tepper
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dennoch schöne Gesicht seiner Mutter unter dem dunklen Schleier, ihre schweren Schuhe neben seinen kleinen. Er erinnerte sich, daß sie den Seesack abgesetzt hatte, in dem sich ihre Kleider befanden, Sals Puppe und seine geschnitzten Krieger, Zorn, Eisen und Voorstod; die Peitsche hatte er aber nicht mitnehmen dürfen. Der Seesack war schon fadenscheinig und fleckig gewesen, denn er hatte Mam auf dem ganzen Weg von der Stadt Scaery in Voorstod auf Ahabar begleitet.
    Während der Kindheit dachte Sam dann an die Dinge, die Mam zurückgelassen hatte; keine wertlosen Dinge wie ausgelatschte Schuhe, sondern sperrige Gegenstände, die schwer zu transportieren waren, Dinge, die möglicherweise ziemlich schwer waren, mit Knöpfen und sogar Rädern, komplizierte, aber faszinierende Dinge. Ohne daß er sich dessen richtig bewußt geworden wäre (und Maire hatte er schon gar nicht gefragt), vermutete er, daß eines der komplizierten Dinge, die Mam zurückgelassen hatte, Sams Dad gewesen war, Phaed Girat. Sam war sich nicht sicher, ob er Mam das verzeihen konnte oder ob er ihr bereits verziehen hatte, ohne es indes zu wissen.
    Maire hatte Sam vor die Wahl gestellt, in Voorstod auf Ahabar, in der Küche in Scaery, wo das Feuer Schatten in die Ecken warf und die Luft rauchgeschwängert war. Immer wenn Sam an diese Zeit zurückdachte, hatte er gleichzeitig den Geruch des Rauchs und des weißlichen Zeugs in der Nase, das an den feuchten Wänden wucherte. »Sal und ich werden fortgehen«, hatte Mam ihm eröffnet. »Du kannst bei deinem Vater bleiben oder mit uns kommen. Ich weiß, daß du eigentlich noch zu jung bist, um eine solche Entscheidung zu treffen, aber du mußt sie treffen, Sam. Sal und ich können nicht hierbleiben. Voorstod ist kein Platz für Frauen und Kinder.«
    Eigentlich hatte er bei Dad bleiben wollen. Als er ihr es dann sagen wollte, blieben die Worte ihm jedoch im Hals stecken. Sam verfügte nämlich über ein angeborenes Talent, das manche lediglich als Schüchternheit bezeichnet hätten, was in Wirklichkeit aber eine für ein Kind untypische Leistung darstellte: Er sagte nicht alles, was er dachte. Er wollte wohl bei Dad bleiben, aber dann wäre sein Überleben gefährdet gewesen. Dad hätte ihm kaum bei den Schulaufgaben geholfen, ihm Essen gekocht oder die Kleidung gewaschen. Mit solchen Dingen befaßte Dad sich nämlich nicht. Dad warf ihn hoch in die Luft und fing ihn wieder auf, meistens jedenfalls. Dad schenkte ihm eine Peitsche und brachte ihm bei, wie man sie knallen ließ und Flaschen damit ›köpfte‹. Dad nannte ihn ›Mein starker kleiner Voorstoder‹ und lehrte ihn, ›Zorn, Eisen und Voorstod‹ zu brüllen, wenn die Propheten vorbeigingen und die Frauen sich in den Häusern verkriechen mußten. Doch es gab auch Zeiten, da Dad ihn grimmig anknurrte wie einer der Spürhunde, die hinter dem Haus angekettet waren, und Sam glaubte, dieser große Mann wäre in Wirklichkeit einer, der nur eine Maske mit Dads Gesicht trug.
    Außerdem, wo Sams Bruder Maechy gestorben war – Mam sagte, er sei tot und würde nie mehr zurückkommen –, bräuchte sie da nicht einen Sohn, der sich um sie kümmerte? Dad brauchte niemanden; das hatte er selbst gesagt. Die Männer der Sache genügten sich selbst und verließen sich im übrigen nur auf den Allmächtigen Gott, ob sie nun Männer von Zorn, Eisen oder Voorstod waren.
    Also hatte Sam die gleichermaßen aus Vernunft und Pflichtbewußtsein geborene Entscheidung getroffen, mit Mam und Sal zu gehen. Selbst als Maire ihm gesagt hatte, er müsse die Peitsche zurücklassen, hatte Sam zu seiner Entscheidung gestanden, obwohl ihm nun doch erste Zweifel an der Richtigkeit seiner Wahl kamen. Diese Zweifel hielten auch später noch an. Manchmal träumte er von Dad. Zumindest glaubte er beim Aufwachen, daß er von ihm geträumt hätte. Außerdem träumte er davon, daß jemand ihm die Hände vor die Augen hielt und flüsterte: »Du siehst sie nicht, Sammy. Sie sind nicht hier. Du siehst sie nicht.« Beim Aufwachen ärgerte er sich dann über diese Träume; außerdem ärgerte er sich, weil er nichts anderes geträumt hatte, weil er sich entschieden hatte, nach Hobbs Land zu gehen und weil Dad nicht mitgekommen war.
    In Anbetracht der Erinnerungen, die er noch an Dad hatte, wunderte er sich indes nicht darüber, daß Maire ihn zusammen mit den übrigen Legenden verlassen hatte. Dad war viel zu unbeweglich für einen Umzug. Wenn Sam an Phaed Girat dachte, assoziierte er ihn immer
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