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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist
Autoren: Barbara Noack
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    In der Straße, in der Friederike Birkow wohnte,
hatte man den Baumschatten gefällt, die alten, unrentablen Villen abgerissen
und dafür Luxuseigentümlichkeiten im Bunkerstil erstellt mit Baikonen, die an
die verbeulte Visage eines Verlierers im Boxring erinnerten.
    Zwischen diesen senfgelb-lutscherrot
gestrichenen Bauten stand noch ein langgestrecktes, zweistöckiges
Gebäude mit viel Stuck, Schimmelflecken und eisernen Baikonen, von denen einer
wegen Absturzgefahr nur noch von Schüsseln mit kalt zu stellenden Speisen
betreten werden durfte.
    Hier wohnte Friederike Birkow mit ihrem Freund
Sixten Förster gerne. Nie wieder würden sie unter so hohen Bäumen in so großen
Räumen so preiswert Unterkommen — mit Flieder und Jasminhecken drum herum.
    Der Taxifahrer, der Friederike und ihre schweren
Markteinkäufe heimgebracht hatte, schaute kurz auf das Haus.
    »Den Schuppen kenn’ ick. Hab’ hier öfta mal ‘ne
Fuhre, ‘ne olle Oma. Det soll hier ooch noch abjerissen wern. Bloß die kriejen
die Mieta nich raus. Nu hamse Fremdarbeeta in die leerstehenden Wohnungen
jesetzt, damit se die Mieta verjraulen sollen. Damit die freiwillig jehn,
vastehn Se? Türken und so wat hamse rinjesetzt. Allet Kanaken, det.«
    »Kanaken?«
    »Na, Mann, ebend Kanaken. Fragen Se die Oma.« Er
brach ab und hing mit seinem Ellbogen und seinem Staunen aus dem
heruntergekurbelten Fenster, während Friederike das Gartentor aufstieß und ihre
Einkäufe hineinzuwuchten versuchte, ehe es wieder zufiel.
    »Saren Se bloß, Sie wohnen ooch hier.«
    »Ja. Was dagegen?«
    Als sie auf die Haustür zuging, wurde diese von
innen aufgerissen. Mandeläugige Kinderbrachen kreischend in den Hof ein,
gefolgt von einer alten Dame, die sie vor sich herscheuchte wie Hühner aus
einem Ziergärtchen. Das war Frau von Arnim, die Oberstwitwe aus der ehemaligen
Beletage.
    »Schrecklich, Fräulein Birkow, schrecklich,
schrecklich«, jammerte sie auf Friederike ein. »Sie toben den ganzen Tag durch
die Flure und richten nichts wie Schaden an. Und was das Schlimmste ist — sie
werden immer mehr! Sie vermehren sich wie die Karnickel, während unsere
Geburtenziffern ständig rückläufig sind. Wo soll das einmal hinführen?
Bevölkerungspolitisch, meine ich. Haben Sie sich das mal überlegt, Fräulein
Birkow? Eines Tages — und er ist nicht mehr ferne, werden wir ganz in
türkischer Hand sein. Ein Glück, daß ich das nicht mehr erleben muß.«
    Zusammen mit der Witwe betrat Rieke das Haus.
    In der ehemaligen Eingangshalle verblaßten die
Lilien auf der Wandbespannung zwischen hölzernen Paneelen. Rußspuren an der
rechten Wand stammten von einem lange zurückliegenden Brand. Wenn man sie
intensiv anschaute, rochen sie immer noch danach. Und außerdem roch es nach
angebrannter Milch im Haus.
    »Sagen Sie, Frau von Arnim, was sind eigentlich
Kanaken?«
    »Kanaken!« Ein Blick voll abstandnehmender
Verwunderung traf Friederike. »Das wissen Sie nicht, Fräulein Birkow?«
    »Ich habe das Wort zwar schon oft gebraucht,
aber was es bedeutet...«
    »Kanaken sind Untermenschen!«
    »Ehrlich?«
    »Und so nannte man sie schon in meiner
Jugendzeit.« Vor der Arnimschen Wohnungstür verabschiedeten sich die beiden
Frauen mit einem Nicken des Kopfes. Fiederikes Wohnung befand sich im zweiten
Stock auf der Gartenseite.
    Vor der Tür lag noch die Post — ein Brief für
Sixten ohne Absender und zwei Reklamesendungen.
    Der Geruch nach angebrannter Milch kam übrigens
aus ihrer Wohnung.
    Sixten stand barfuß in einem T-Shirt, das er
auch als Nachthemd benutzte, am Herd und rührte Mändelchenpudding. Die einzige
Veränderung an seinem Äußeren seit ihrem Fortgehen heute morgen: Es war eine
ausgefranste Jeanshose hinzugekommen.
    Sixten liebte Puddings leidenschaftlich. Leider
brannten sie ihm jedesmal an, aber solange er selbst die Töpfe scheuerte —!?
    »Du schon zu Haus?«
    »Heut’ ist Samstag.«
    »Stimmt ja. Wenn jeder Tag damit beginnt, daß
man nach dem Frühstück Feierabend hat, weiß man bald überhaupt nicht mehr, was
für ‘n Wochentag ist.« Immer dieses Selbstmitleid!
    Es war schon ein Kreuz mit dem arbeitslosen
Sixten. Anfangs hatte er sich wenigstens um den Haushalt gekümmert, hatte
repariert und Blumen gegossen und den Müll heruntergetragen. Jetzt stand er nur
mehr als vorwurfsvolles Ausrufungszeichen in der Gegend herum, stand meistens
Friederike im Wege.
    Seine einzige Aktivität: Er ließ Puddings
anbrennen. Sixten und Friederike hatten einen Hund,
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