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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras
Autoren: Sheri S. Tepper
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wie Wasser aussähe. Es war aber auch nicht leicht, beides auseinanderzuhalten. Für sie bestand kein Unterschied zwischen Wasser und Gras, beides glich einander, mit dem einen Unterschied, daß man im Wasser ertrinken konnte.
    In diese Gedanken versunken, überkam Dimity die Erkenntnis, daß man im Gras fast auch ertrinken konnte. In diesem Moment wünschte sie es sich auch bald. Das linke Knie schmerzte höllisch. Wie flüssiges Feuer zog der Schmerz vom Knie hoch in die Lendengegend. Lenk dich ab, wiederholte sie stumm. Lenk dich ab.
    Am Ende des Grün-Blauen Pfades waren die Hunde lautlos in den Wald der Dreißig Schatten gelaufen, wo riesige schwarze Stämme mit dem Umfang ihres Körpers in den Himmel wuchsen; von weit oben, wo sie mit den Wipfeln aneinanderstießen, war ein Rauschen zu vernehmen. Samtige Moosflächen zogen sich um mit Steingras bewachsene Hügel, und die Hunde folgten dem Pfad, der zum Rubin-Hochland hinaufführte.
    Das Gras des Hochlands leuchtete bernsteinfarben, apricot und rose, wobei die pastelligen Farben von leuchtend roten Strängen des gen Himmel wachsenden Blutgrases durchzogen wurden; an dieser Stelle verließ der Pfad die Gärten und führte hinaus in die wild wachsenden Gräser der Prärie. Es war eine Hochgras-Prärie, in der nichts zu sehen war außer den wogenden Halmen, durch die das Reittier sich einen Weg bahnte, nichts zu hören außer dem Rauschen der flockigen Samen; ihr ganzes Denken war darauf gerichtet, sich vor den scharfen Halmen in acht zu nehmen und den Kopf unten zu halten, damit die Halme auf die gefütterte Kappe und nicht in ihr Gesicht peitschten.
    Anhand des Sonnenstandes schloß sie, daß sie sich nach Norden bewegten, und darauf konzentrierte Dimity sich nun. Die anderen sieben Estancias waren über eine Flugstunde voneinander entfernt, und dennoch nahmen sie nur einen kleinen Teil der Oberfläche von Gras ein. Was wußte sie über das Land nördlich der Damfels-Estancia? Dort gab es keine Estancia mehr. Die nächst gelegene Estancia war die der bon Laupmons, doch sie lag weit in südöstlicher Richtung. Direkt im Osten lebten die bon Haunsers. Die Abtei der Grünen Brüder befand sich ziemlich weit nordöstlich von der Estancia der bon Damfels’. Im Norden gab es keine Estancias, keine Dörfer, nichts außer der weiten Prärie und einem langen, flachen Tal mit vielen Baumgruppen. »Viele Wäldchen bedeuten viele Füchse«, zitierte sie im Geiste. Zweifellos ritten sie zu diesem Tal.
    Plötzlich brandeten die Schmerzen wieder auf, nur daß diesmal das andere Bein davon betroffen war. »Noch besser als Ablenkung«, hatte der Rittmeister gesagt, »ist es, wenn du dich dem Rhythmus des Tieres anpaßt und an gar nichts denkst.« Sie versuchte nicht, den Schmerz niederzukämpfen oder sich abzulenken, sondern diesen Rat zu befolgen. »Vor allem darfst du nicht das Reittier scheu machen und die Aufmerksamkeit der Hunde erregen.« Sie würde ihre Aufmerksamkeit nicht erregen. Sie würde einfach nur weiterreiten und an nichts denken.
    Auf dem Simulator war es Dimity nie gelungen, an nichts zu denken, und überrascht stellte sie fest, wieviel leichter es ihr hier fiel. Als ob der Ballast in ihrem Bewußtsein beseitigt würde. Mit einem Radiergummi. Rubbel, rubbel, rubbel. Irritiert schüttelte sie den Kopf, denn dieses Gefühl behagte ihr nicht; gerade noch rechtzeitig erinnerte sie sich, daß man sich auf gar keinen Fall bewegen darf. Der Eindringling machte sich an ihrem Bewußtsein zu schaffen. Sie verlegte sich wieder auf die Ablenkungsstrategie und dachte an ihr neues Ballkleid, wobei sie sich jedes Volant, jedes gestickte Blatt und jede Blüte vorstellte, und nach einiger Zeit verschwand das unangenehme Gefühl in ihrem Kopf tatsächlich.
    »Weiter«, sagte sie sich. »Weiter, weiter, weiter.« Die Wiederholung füllte die Leere aus, ließ das Ballkleid verschwinden, und sie ritt einfach weiter, paßte sich dem Rhythmus des Tieres an und schloß die Augen, um die Außenwelt auszublenden. Ihr Rückgrat war ein einziger Quell des Schmerzes. Sie hätte am liebsten geschrien, und es kostete sie all ihre Kraft, diesen Schrei zu unterdrücken.
    Unvermittelt erreichten sie den Kamm einer langgezogenen Hügelkette und hielten an. Fast gegen ihren Willen schlug sie die Augen auf, und sie schaute in das vor ihnen liegende Tal hinab. Es wies eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ozean-Garten auf, nur daß die Wellen hier von bernsteinfarbenem und graubraunem Gras geschlagen
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