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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras
Autoren: Sheri S. Tepper
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beleuchteten Raums und reichten das Dokument weiter, das die Ursache für diese Zusammenkunft war. Es war ein kurzes Schriftstück, auf dessen Kopf in kursiven Arabesken die Namen und Bezeichnungen von Heiligkeit verzeichnet waren; das Dokument war reichlich mit Siegeln und Bändern versehen und vom Hierarchen daselbst unterzeichnet. Diese Gruppe von Aristokraten hatte sich bereits in der entfernten und jüngeren Vergangenheit mit solchen Dokumenten befaßt, und Gustave bon Smaerlok machte kein Hehl aus seinem beträchtlichen Unwillen, sich dieser Routine erneut unterziehen zu müssen.
    »Dieses Büro von Heiligkeit wird allmählich aufdringlich«, stellte der Obermun fest, der nun schon seit zwanzig Jahren an einen bionischen Rollstuhl gefesselt war. »Dimoth bon Maukerden ist der gleichen Ansicht. Ich hatte ihn gefragt, und er hat wegen dieser Sache einen Wutanfall bekommen. Yalph bon Bindersen ebenfalls. Ihn hatte ich nämlich auch gefragt. Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, bon Tanlig aufzusuchen, aber Dimoth, Yalph und ich sind uns einig, daß, was immer dieses Heiligkeit auch will, es uns nichts angeht und daß wir ihre verdammten fragras hier nicht wollen. Unsere Leute sind nach Gras gekommen, um Heiligkeit zu entfliehen – also soll Heiligkeit uns jetzt auch in Ruhe lassen. Es genügt schon, daß wir ihnen gestatten, die Stadt Arbai auszugraben und daß diese Grünen Brüder oben im Norden Lehmkuchen mit ihren Schäufelchen backen. Die anderen sollen bleiben, wo sie sind, und Gras soll Gras bleiben. Darüber sind wir uns alle einig. Also sagen wir es ihnen, ein für allemal. Es ist Jagdsaison, um Himmels willen. Wir haben keine Zeit für diesen Unsinn.« Auch wenn Gustave kein aktiver Reiter mehr war, so verfolgte er doch eifrig die Jagd; wann immer das Wetter es zuließ, beobachtete er das Geschehen von einem Zeppelin aus, der über einen lautlosen Propellerantrieb verfügte.
    »Nur kommod, Gustav«, murmelte Figor und massierte mit der rechten Hand den linken Arm an der. Verbindungsstelle zwischen Fleisch und Prothese; er spürte eine Woge des Schmerzes unter den Fingern, der auch nach zwei Jahren noch sein ständiger Begleiter war. Das machte ihn reizbar, und er versuchte, diese Reizbarkeit zu unterdrücken, denn er wußte, daß sie körperliche und keine seelischen Ursachen hatte. »Es besteht kein Anlaß, deshalb gleich eine Revolte anzuzetteln. Es hat keinen Sinn, Heiligkeit gegen den Strich zu bürsten.«
    »Revolte!« bellte der ältere Mann. »Seit wann herrscht denn diese fragras Heiligkeit auf Gras?« Obwohl das Wort fragras schlicht ›fremd‹ bedeutete, benutzte er es mit der auf Gras üblichen Konnotation, nämlich als die tiefste Beleidigung.
    »Schsch.« Figor hatte Verständnis für Gustave. Gustave verspürte nämlich auch Schmerzen und war deshalb leicht reizbar. »Diese Art von Revolte hatte ich überhaupt nicht gemeint, und das weißt du auch. Obwohl wir keine religiöse Treuepflicht gegenüber Heiligkeit haben, legen wir in anderer Hinsicht Lippenbekenntnisse ab. Das Hauptquartier von Heiligkeit befindet sich auf Terra. Wir erkennen Terra als Zentrum aller diplomatischen Aktivitäten an. Hüterin unseres kulturellen Erbes. Ewige Wiege der Menschheit. Blabla.« Er seufzte und massierte sich erneut. Gustave schnaubte zwar, unterbrach Figor aber nicht, als dieser fortfuhr. »Viele nehmen unsere Geschichte ernst, Gustave. Nicht einmal wir ignorieren sie völlig. Auf den Konferenzen bedienen wir uns der alten Sprachen, und wir lehren unsere Kinder Terranisch. Wir sprechen zwar nicht alle dieselbe Sprache auf den Estancias, aber wir betrachten die Konversation in terranischer Sprache als Ausweis von Kultur, nicht wahr? Und nach wie vor berechnen wir unser Alter in Heiligkeit-Jahren. Die meisten Getreidesorten sind von unseren Vorfahren auf Terra gezüchtet worden. Weshalb sollten wir es uns also mit Heiligkeit verderben – und allen, die zu seiner Verteidigung eilen werden –, wenn dafür überhaupt keine Notwendigkeit besteht?«
    »Dann willst du also ihre verdammten Wissenschaftler hierhaben, die überall herumschnüffeln? Willst du, daß ihre widerlichen kleinen Forscher alles auf den Kopf stellen?«
    Dann trat eine Phase des Schweigens ein, in der man darüber nachdachte, was wohl alles auf den Kopf gestellt werden könnte. In dieser Jahreszeit konnte höchstens die Jagd gestört werden, denn sie war das einzig wichtige Ereignis. Im Winter blieben natürlich alle zu Hause, und im
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