Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras
Autoren: Sheri S. Tepper
Vom Netzwerk:
wurden und die Inseln aus richtigen Bäumen bestanden, Baumgruppen, der einzigen Sorte von Bäumen, die auf Gras existierte. Sumpfbäume, die überall dort gediehen, wo es oberirdische Quellen gab. Fuchsbäume. Das Refugium der gezähnten Teufel. Hier lebten sie. Hier versteckten sie sich, wenn sie nicht im Gras umherschlichen und die Fohlen rissen.
    »Sprich nie von ›Fohlen‹, wenn ein Reittier in Hörweite ist«, hatte der Rittmeister sie ermahnt. »Das ist unsere Bezeichnung. Wir vermuten nämlich nur, daß es Fohlen gibt, obwohl wir noch nie welche gesehen haben. Also nimm dieses Wort nicht in den Mund. Überhaupt darfst du in der Nähe eines Reittiers gar nicht sprechen.«
    Also schwieg sie; die anderen Reiter sagten auch nichts und behielten ihre Spekulationen für sich. Dimity betrachtete die blassen Gesichter der Reiter, auf denen sich Konzentration und Gelassenheit abzeichnete. Diese Ruhe hätte Dimity bei Emeraude nicht für möglich gehalten, wenn sie es nicht selbst gesehen hätte. Mummy hätte es wahrscheinlich nicht einmal dann geglaubt. Und Shevlok! Normalerweise sah man Shevlok nur mit einer importierten Zigarre im Mund – wobei Shevlok sich nur mit dem besten Shafne-Tabak zufriedengab – und in ein Gespräch verwickelt. Allerdings nicht in Gegenwart seines Vaters. Wenn Stavenger in der Nähe war, hielt Shevlok sich immer im Hintergrund und saß in irgendeiner Ecke.
    Diese Jagd zeichnete sich durch ihre Ruhe aus. Es war so ruhig wie auf der Latrine im Winter, bei klirrender Kälte, wenn sonst niemand da war. Dimity konzentrierte sich auf eine ruhige Atmung. Dieses radiergummiartige Gefühl meldete sich zurück, und sie wehrte es ab, indem sie sich überlegte, was sie nach der Jagd zu Abend essen würde. In Öl gesottenes Grashuhn mit importierten Gewürzen. Einen Fruchtsalat. Nein. Es war noch zu früh für frisches Obst. Einen Obstkuchen.
    Und dann ritten sie ins Tal hinunter, auf ein dunkles Wäldchen zu. Dimity gedachte der Instruktionen des Rittmeisters: »Diese Bäume sind außergewöhnlich«, hatte er gesagt. »Du wirst dich beherrschen müssen, nicht zu keuchen oder einen Ruf der Bewunderung auszustoßen. Aber das wirst du natürlich unterlassen. Du wirst den Mund geschlossen halten. Du wirst nicht den Hals recken, dich umschauen oder dein Gewicht verlagern.« Zumal sie die Bäume schon tausendmal auf dem Bildschirm des Simulators gesehen hatte.
    Also ließ sie den Mund zu und schaute geradeaus, während die schwarzen Türme um sie herum in die Höhe ragten; das Blätterdach blendete den Himmel aus, und plötzlich fühlte sie sich in eine Wasserwelt versetzt. Überall hörte sie das Plätschern der Hufe im Wasser, die quietschenden und schmatzenden Geräusche, und der Geruch, der ihr in die Nase stieg, war ganz anders als der Geruch des Regens. Hier war es nicht nur feucht, sondern auch modrig, ein Gestank von Fäulnis und Verwesung. Vorsichtig öffnete Dimity den Mund, um die Atmung zu verbessern, und allmählich gewöhnte sie sich an den Brodem, der ihr ständig einen Nies- und Hustenreiz verursachte.
    Sie spürte das Signal für die Hunde, ohne daß sie es bewußt wahrgenommen hätte, und dann schwärmten die Tiere in alle Richtungen aus, die Nasen am Boden. Schließlich verklang das trappelnde Geräusch. Der Rittmeister hatte gesagt, dieser Vorgang sei früher von einem bestimmten verbalen Ritual begleitet worden. Ab ins Gebüsch, sagte sie sich. Ab ins Gebüsch, Jungs. Als ob irgend jemand es wagen würde, die Hunde mit ›Jungs‹ anzureden!
    Irgendwo zirpte eine Grille, ein arhythmisches Pulsieren, das den Wald durchdrang und sich so oft wiederholte, daß es fast einer Melodie glich; dann verstummte der Laut, und sie glaubte schon, die Grille hätte aufgehört, als das Zirpen erneut einsetzte. Aus dem Augenwinkel erhaschte sie einen Blick auf die Grille, die sich an einen Grashalm klammerte.
    Ein Hund schlug an, mit einem tiefen Bellen, das sie schier in Angst versetzte, als es scheinbar nicht aufhören wollte. Dann fiel ein anderer ein, eine halbe Oktave höher, und das Heulen des Duetts stach wie ein Messer in ihre Ohren. Schließlich stimmte das ganze Rudel ein, wobei die einzelnen Beiträge in einer chaotischen Kakophonie untergingen, unmelodisch und dissonant. Die Reittiere antworteten mit Geschrei und stürmten tiefer in den Forst. Sie hatten den Fuchs gefunden, den Fuchs aufgescheucht und würden den Fuchs nun jagen. Dimity schloß die Augen und versuchte, die Ruhe zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher