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Monster (German Edition)

Monster (German Edition)

Titel: Monster (German Edition)
Autoren: Benjamin Maack
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eingezogenem Kopf.
    Der Boden ist nicht betoniert, nur festgestampfte Erde. Spinnenweben hängen von der groben Mörteldecke und spannen sich in Bögen vom Kabel der nackten Glühbirne, die schwach leuchtend an der Decke hängt. Es ist feucht und stickig. Eine Luft, die auf den Grund der Lungen sinkt wie Abendnebel.
    Dafür, dass der Raum so vernachlässigt wirkt, ist alles erstaunlich gut organisiert. An der einen Seite stehen Metallregale mit Gläsern. Eingekochtes. Früchte und Gemüse, ordentlich aufgereiht. Auf der anderen stapelt sich eine Wand von Kartons, jeder einzelne von Kathrin und Stephan beschriftet. »Jura«, »Malerei« oder »Werkzeuge« steht gut lesbar darauf. Oder »Fotoausrüstung« und »Tauchen«. Benjamin hat plötzlich eine Gänsehaut. Er fühlt sich wie ein Räuber in einem ägyptischen Grabmal. Er wusste nicht mal, dass einer der beiden tauchen kann.
    Da sind auch ein paar Leinwände. Sie stehen mit den Rücken zum Raum. Es sind Kathrins verquollene Landschaften. Wälder und Parks, die sie in langen Ausflügen um die Stadt herum fotografiert und danach von den Bildern abgemalt hat. Er weiß das, weil er immer dabei war. Sie stiegen in die S- oder U-Bahn und fuhren, bis die Umgebung grün wurde. Damals war sie schon längst mit Stephan zusammen, hatte für ihn die Uni gewechselt, und trotzdem fuhr sie immer mit Benjamin auf diese Entdeckungstouren. Er hat sie nie gefragt, warum. Aus Angst vor ihrer Antwort.
    Die meisten Motive im Keller kennt er noch. Von den Ausflügen. Kathrin hat nie viele Fotos gemacht. Manchmal sind sie einen ganzen Nachmittag herumgelaufen, bis sie plötzlich stehen blieb, umständlich ihre Kamera aus der gepolsterten Hülle zog, sie vor ihr Auge hob, scharf stellte und abdrückte. Benjamin sah keinen Unterschied zwischen diesem Stück Wiese, dieser Ecke Wald, diesem Fetzen Bachlauf und jeder anderen Stelle, an der sie vorbeikamen. Aber später auf den Bildern auf den Ausstellungen erkannte er sie immer wieder. Jetzt stehen sie alle hier, die Bilder, von denen Kathrin behauptet hat, sie schon vor Jahren weggeworfen zu haben. Nur zwei scheinen anders zu sein. Ihre Kanten sind nicht so stark ergraut wie die der anderen. Zwei helle Streifen im schummrigen Kellerlicht. Eine leise Kälte durchfährt ihn, als er die Leinwände berührt.
    Er stellt sich vor, dass es Porträts sind.
    Er stellt sich vor, wie Kathrin und Stephan ihn aus zwei schwarzen Hintergründen heraus anschauen. So, wie er sie von früher kennt. In dicken Schichten Öl und viel detailgetreuer wiedergegeben als alle Landschaften. Fast lebendig.
    Als hätte Kathrin in langen, einsamen Nächten an ihnen gearbeitet.
    Wie eine Besessene.
    An zwei Gesichtern.
    Mit Augen, die vor Vorfreude auf das Leben glänzen.
    Mit einem Ruck zieht er die beiden Leinwände zwischen den anderen hervor. Es sind nur zwei weitere, alte Landschaftsbilder. Einfach nur Material, das anders gealtert ist. Fast enttäuscht schiebt er sie zurück. Dabei stößt er gegen einen der unteren Kartons. Die feuchte Pappe reißt sofort. Der Inhalt quillt auf den sandigen Kellerboden.
    Es ist nur Feuchtigkeit.
    Benjamin weiß das, und trotzdem ist da dieser Gedanke.
    Es ist nur kindischer Kellerhorror.
    Dass das, was ihm da aus dem Karton entgegengekommen ist, für ihn bestimmt ist. Dass die Bilder ihn in die Ecke gelockt haben, um ihm das hier zu zeigen.
    Auf dem Boden liegen Strampler, winzige T-Shirts mit Tiergesichtern darauf, ein paar Bilderbücher in dicken Pappeinbänden. Babysachen. Aber viel zu neu, um aus Stephans oder Kathrins Kindheit zu sein. Benjamin geht in die Knie, um die Sachen zurück in den Riss zu stopfen. Die Beschriftung ist kleiner und krakeliger als auf den anderen Kartons.
    Mit einem Filzer wurde ein Name auf die braune Pappe geschrieben: »Benjamin«.
    »Benjamin«, ruft Kathrin, »ist alles okay? Ich habe Lärm gehört.«
    »Ja, alles klar«, ruft er schnell, steht auf und stößt mit dem Kopf hart an die Decke. Erst als er schon halb oben ist, denkt er an die Kirschen und greift ein Glas aus dem Regal.
    Benjamin ist schwindelig, in den Ohren hört er sein Blut rauschen, es pocht an die Innenseite seines Schädels, als würde es nach einem Weg aus seinem Kopf suchen. Bevor er in die Küche geht, holt er tief Luft.
    »Hier.«
    »Ihhh«, das Geräusch aus Kathrins Mund dauert genauso lange, wie das Kirschglas braucht, um auf dem Boden zu zerspringen. Dann ist es still in der Küche. Die Kirschen liegen zwischen
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