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Monster (German Edition)

Monster (German Edition)

Titel: Monster (German Edition)
Autoren: Benjamin Maack
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eine halbe Stunde gefahren ist, lenkt er den Wagen in einen Forstweg. Er trägt die Sachen, die er am Morgen in dem Wanderladen gekauft hat. Die Jacke schickt ein stumpfes, einsames Gelb in die Dunkelheit. Erst jetzt merkt er, dass er weder Schaufel noch Taschenlampe dabei hat. Im Scheinwerferlicht des Wagens beginnt er auf Knien ein Loch in den Waldboden zu scharren. Mit bloßen Händen greift er Faust um Faust feuchter Erde. Es ist erstaunlich, wie leicht der Boden nachgibt. Ein dünnes Netz von Wurzeln macht ein leises Rupfgeräusch beim Graben. Wie eine Bürste, die durch Frauenhaar streicht. Als das Loch tief genug ist, geht er zum Auto. Im schummrigen Licht der Kofferraumbeleuchtung sieht die Gestalt aus wie ein Säugling oder eine große russische Matrjoschka. Er nimmt die Eule mit beiden Händen, trägt sie zum Loch und legt sie hinein. Das Gefieder glänzt matt im Licht der Scheinwerfer. Er ist erstaunt, wie weich die Federn sind. Mit dem Zeigefinger streicht er über die Brust der Eule, über den Flaum zwischen den Augen. Er schiebt eine Hand unter den Flügel. Und auf einmal sieht der Waldboden sehr schwarz aus. Auf einmal kann er diese Erde nicht mehr auf dieses Gefieder werfen. Er kann die Eule hier nicht einfach verbuddeln. Vorsichtig hebt er sie aus dem Loch, dreht sie um und zupft die schwarzen Erdkrumen aus den Federn, durchkämmt das Gefieder mit den Fingerspitzen, bis es wieder ganz sauber ist. Dann legt er das Tier zurück in seinen Kofferraum.
     
    5
    Kathrin hat die Teller beiseitegeschoben und Dutzende Bücher auf dem Küchentisch ausgebreitet. Bildbände über die Flora und Fauna des Harzes, vergilbte Sachlektüre über den Bergbau, Sammlungen mit Märchen und Sagen aus dem Gebirge, Reiseführer.
    »Wow«, sagt Benjamin, mehr um etwas zu sagen, »wo kommen denn die alle her?«
    »Die stehen eigentlich in meinem Schlafzimmer. Ich habe sie alle in einem Karton im Keller gefunden, als wir hier eingezogen sind. Irgendwie bescheuert, aber es vergeht kein Abend, an dem ich nicht in einem dieser Bücher lese.«
    Benjamin nimmt eine Sagensammlung in die Hand und lässt die Seiten unter seinem Daumen surren.
    »Gibt bestimmt viel zu sehen hier in der Gegend.«
    »Ja. Allein die ganzen aufgegebenen Erzgruben. Kilometerweise verlassene Stollen und Höhlen unter den Bergen.«
    »Aber nach ein oder zwei von diesen Touristenausflügen kann man garantiert keine Stollen mehr sehen.«
    Sie wischt über einen Buchdeckel, um einen Fussel zu entfernen.
    »Ich habe noch keinen einzigen gesehen«, sagt sie.
    Sie rollt den Fussel zwischen den Fingern zu einem Ball, merkt, was sie tut, und lässt ihn in der Tasche ihrer Jeans verschwinden.
    »Klar«, sagt er, »du kannst Stephan nicht allein lassen.«
    »Doch«, sagt sie schnell, »mit seinen Medikamenten kann er schon ein paar Stunden im Bett aushalten. Und wenn es ein Problem gibt, wenn er Hilfe braucht, hat er einen Alarmknopf. Einfach drücken, dann wird automatisch ein ärztlicher Notdienst gerufen und ich bekomme eine Nachricht auf mein Handy.«
    »Ist das schon oft passiert?«
    »Ein paar Mal.«
    »Hast du da nicht ständig Angst?«
    »Die ersten Male schon, aber man gewöhnt sich dran.« Kathrins Blick verliert sich irgendwo in Benjamins Gesicht. »Ich glaube, das ist das große Talent der Menschen«, sagt sie und beginnt, die Bücher zu Türmen aufzustapeln.
    »Wenn das wirklich geht. Würde mich freuen, wenn wir mal zusammen irgendwohin fahren.«
    »Manche der Bergwerke sind fast tausend Jahre alt.« Sie geht zum Kühlschrank und holt eine Paprika hervor. »Hast du Lust auf Einweckkirschen zum Frühstück?«
    »Klar, warum nicht.«
    »Aber du müsstest dafür ein Glas aus dem Keller holen.« Ihre Stimme klingt ein wenig, als hätte sie den Satz eingeübt, eine Spur so, als würde es sich um etwas handeln, das von großer Bedeutung ist, aber auch gefährlich werden könnte.
    »Kein Problem.«
    »Aber Vorsicht, der Lichtschalter ist am unteren Absatz, die Stufen sind steiler und schmaler als bei normalen Kellertreppen, und die Decke ist ziemlich niedrig.«
     
    Die Holzstufen knarren unter Benjamins Füßen. Weil die Decke noch schräger abfällt als die Treppe, muss er den Kopf mit jedem Schritt ein wenig mehr einziehen. Der Keller ist stockdunkel. Behutsam tastet Benjamin sich vor, streicht mit der Hand über die kühle Wand, bis er den Schalter gefunden hat. Die Decke ist wirklich sehr niedrig. Er duckt sich, nimmt die letzte Stufe mit krummem Rücken und
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