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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Titel: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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Import-Export.«
    »Import-Export?«
    Damit hatte ich einen Punkt gemacht, ich hatte das magische Wort gefunden. Import-Export, ein Wort, das Monsieur Ibrahim von nun an immer im Munde führte, ein ordentliches Wort und gleichzeitig ein abenteuerliches, ein Wort, das an Reisen denken läßt, an Schiffe, an Kisten, an große Umsätze, ein Wort, schwer wie die Silben, die es rollen läßt, Import-Export!
    »Darf ich Ihnen meinen Sohn Momo vorstellen, er wird eines Tages in Import-Export machen?«
    Wir spielten viele Spiele. Er führte mich mit verbundenen Augen in religiöse Bauwerke, damit ich allein am Geruch deren Religion errate.
    »Hier riecht's nach Kerzen, katholisch.«
    »Ja, das ist Sankt Antonius.«
    »Hier riecht's nach Weihrauch, orthodox.«
    »Stimmt. Das ist die Hagia Sophia.«
    »Und hier riecht's nach Füßen, muselmanisch. Nein, wirklich, das stinkt doch sehr...«
    »Was! Das ist die Blaue Moschee! Ein Ort, der nach Körper riecht, ist nicht gut genug für dich? Riechen denn deine Füße nie? Ein Ort des Gebets, der nach Mensch riecht, geschaffen für Menschen, mit Menschen drin, der ekelt dich? Typisch Paris, wie du denkst! Für mich hat dieser Duft nach Socken etwas Beruhigendes. Ich bin, sage ich mir, nicht besser als mein Nachbar. Ich rieche mich, ich rieche uns, und schon fühle ich mich wohler!«
    Ab Istanbul sprach dann Monsieur Ibrahim immer weniger. Er war aufgewühlt.
    »Bald sind wir am Meer, dort, wo ich herkomme.«
    Jeden Tag wollte er, daß wir noch langsamer fahren. Er wollte es genießen. Er hatte wohl auch Angst.
    »Wo ist denn nun das Meer, wo Sie herkommen, Monsieur Ibrahim? Zeigen Sie es mir auf der Karte.«
    »Ach, laß mich mit deinen Karten in Ruhe, Momo, wir sind hier nicht in der Schule!«
    Wir hielten in einem Bergdorf an.
    »Ich bin glücklich, Momo. Ich habe dich, und ich weiß, was in meinem Koran steht. Jetzt möchte ich dich zum Tanzen mitnehmen.«
    »Zum Tanzen, Monsieur Ibrahim?«
    »Das muß sein. Unbedingt. ›Das Herz eines Menschen ist wie ein Vogel, eingesperrt in den Käfig des Körpers.‹ Wenn du tanzt, singt das Herz wie ein Vogel, der sich danach sehnt, mit Gott eins zu werden. Komm, laß uns zur Tekke gehen.«
    »Wohin?«
     
    »Ein komischer Tanzboden!« sagte ich, als ich über die Schwelle trat.
    »Eine Tekke ist kein Tanzboden, das ist ein Kloster. Momo, zieh deine Schuhe aus.«
    Und da habe ich zum ersten Mal die sich drehenden Männer gesehen. Die Derwische trugen lange, helle, schwere, weiche Gewänder. Eine Trommel erklang. Und die Mönche verwandelten sich in Kreisel.
    »Siehst du, Momo, sie drehen sich um sich selbst, sie drehen sich um ihr Herz, um den Ort, wo Gott wohnt. Das ist wie ein Gebet.«
    »Das nennen Sie beten?«
    »Aber ja, Momo. Sie verlieren jede Bindung an die Erde, diese Schwere, die man Gleichgewicht nennt, sie werden zu Fackeln, die in einem großen Feuer verbrennen. Versuch es, Momo, versuch es. Mach es mir nach.«
    Und Monsieur Ibrahim und ich fingen an, uns zu drehen.
    Ich dachte bei den ersten Drehungen: Ich bin glücklich mit Monsieur Ibrahim. Dann sagte ich mir: Ich bin meinem Vater nicht mehr böse, daß er weggegangen ist. Und am Ende dachte ich sogar: Eigentlich hatte meine Mutter keine andere Wahl, als sie...
    »Na, Momo, hast du an etwas Schönes gedacht?«
    »Ja, es war unglaublich. Mein Haß war wie weggespült. Hätten die Trommeln nicht aufgehört, wäre ich auch mit dem Problem mit meiner Mutter klargekommen. Das Beten war ganz toll, M'sieur Ibrahim, allerdings hätte ich dabei lieber meine Turnschuhe anbehalten. Je schwerer der Körper, desto leichter wird der Geist.«
    Von dem Tag an legten wir viele Pausen ein, um in den Tekkes zu tanzen, die Monsieur Ibrahim kannte. Manchmal drehte er sich nicht, sondern begnügte sich damit, Tee zu trinken und die Augen zusammenzukneifen. Ich aber drehte mich wie ein Verrückter. Nein, in Wirklichkeit drehte ich mich, um weniger verrückt zu sein.
    Abends, auf den Dorfplätzen, versuchte ich mit den Mädchen ins Gespräch zu kommen. Ich gab mir alle erdenkliche Mühe, aber es lief nicht sehr gut, während Monsieur Ibrahim, der nichts anderes tat, als mit sanfter und ruhiger Miene lächelnd seinen Anisschnaps zu schlürfen, nach einer Stunde immer eine Menge Leute um sich herum hatte.
    »Du bewegst dich zuviel, Momo. Wenn du Freunde haben willst, dann sei nicht so zapplig.«
    »Monsieur Ibrahim, finden Sie mich eigentlich schön?«
    »Du bist sehr schön, Momo.«
    »Nein, so
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