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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Titel: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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Verkäufer rang nach Luft.
    »Aber..., aber..., niemand zahlt bar..., das..., das geht nicht...«
    »Ja, ist denn das kein Geld? Ich hab's doch auch angenommen, warum dann nicht Sie? Momo, sind wir hier in einem seriösen Laden?«
    »Gut. Dann machen wir es eben so. Wir liefern den Wagen in zwei Wochen.«
    »In zwei Wochen? Unmöglich. In zwei Wochen bin ich tot!«
    Zwei Tage später wurde uns der Wagen vor den Laden gestellt... Monsieur Ibrahim war schon ein As.
    Nachdem Monsieur Ibrahim eingestiegen war, betastete er vorsichtig mit seinen langen, feinen Fingern all die Knöpfe; dann wischte er sich die Stirn, er war ganz grün.
    »Ich kann's nicht mehr, Momo.«
    »Sie haben's doch gelernt?«
    »Ja, von meinem Freund Abdullah, ist aber lange her. Nur...«
    »Nur?«
    »Nur, daß die Wagen anders waren.«
    Monsieur Ibrahim mußte nach Luft schnappen.
    »Sagen Sie, Monsieur Ibrahim, die Autos, in denen Sie gelernt haben, die wurden nicht von Pferden gezogen, oder?«
    »Nein, Momo, von Eseln.«
    »Und Ihr Führerschein neulich, was war das?«
    »Hm..., das war ein alter Brief von meinem Freund Abdullah, in dem er mir schrieb, wie die Ernte war.«
    »Na, dann sitzen wir ja ganz schön in der Kacke!«
    »Du sagst es, Momo.«
    »Und in Ihrem Koran steht nichts darüber, was uns, wie üblich, helfen könnte?«
    »Momo, ich bitte dich, der Koran ist kein Handbuch für Mechaniker! Er ist für geistige Sachen da, nicht für Schrottlauben. Außerdem verreist man im Koran auf Kamelen!«
    »Nur nicht die Nerven verlieren, Monsieur Ibrahim.«
    Schließlich beschloß Monsieur Ibrahim, daß wir zusammen Fahrstunden nehmen. Da ich noch nicht alt genug war, nahm offiziell er die Stunden, während ich hinten auf dem Rücksitz hockte und wie ein Kiebitz aufpaßte, was der Lehrer erklärte. War dann die Stunde zu Ende, holten wir unser Auto, und ich setzte mich ans Steuer. Wir fuhren nachts durch Paris, um den Verkehr zu vermeiden.
    Ich kam immer besser zurecht.
    Als dann schließlich der Sommer anbrach, haben wir uns auf den Weg gemacht.
    Tausende von Kilometern. Durch ganz Südeuropa sind wir durch. Bei offenen Fenstern. Bis in den Vorderen Orient. Es war unglaublich, zu entdecken, wie interessant die Welt wurde, wenn man mit Monsieur Ibrahim reiste. Da ich hinter dem Steuer hockte und mich auf die Straße konzentrierte, beschrieb er mir die Landschaften, den Himmel, die Wolken, die Dörfer, die Leute, die dort wohnten.
    Das Geplapper von Monsieur Ibrahim, sein Stimmchen, dünn wie Zigarettenpapier, sein kleiner Akzent, seine Beschreibungen, seine Ausrufe, sein Erstaunen, das sich mit sarkastischen Bemerkungen abwechselte, das war mein Weg von Paris nach Istanbul. Von Europa habe ich nichts gesehen, nur gehört.
    »Oh, Momo, hier sind wir bei den Reichen: Schau mal, die haben Mülltonnen.«
    »Mülltonnen? Na und?«
    »Wenn du wissen willst, ob du in einer reichen Gegend bist oder in einer armen, dann schau dir die Mülltonnen an. Siehst du weder Müll noch Tonnen, dann ist sie sehr reich. Siehst du die Tonnen und keinen Müll, dann ist sie reich. Siehst du den Müll neben den Tonnen, dann ist sie weder reich noch arm, sondern von Touristen überlaufen. Siehst du den Müll ohne Tonnen, dann ist sie arm. Und leben Menschen im Müll, dann ist sie sehr, sehr arm. Hier ist es reich.«
    »Sicher, wir sind ja auch in der Schweiz.«
    »Ach nein, nicht die Autobahn, Momo, nicht die Autobahn. Autobahnen sagen: durchfahren, hier gibt's nichts zu sehen. Das ist was für Idioten, die so schnell wie möglich von einem Punkt zum anderen wollen. Wir machen hier keine Geometrie, wir reisen. Such uns hübsche, kleine Seitenstraßen, die uns alles zeigen, was es zu sehen gibt.«
    »Man merkt, daß Sie nicht am Steuer sitzen, M'sieur Ibrahim.«
    »Hör mal, Momo, wenn du nichts sehen willst, dann nimm, wie alle Leute, das Flugzeug.«
    »Ist es hier arm, M'sieur Ibrahim?«
    »Ja, das ist Albanien.«
    »Und hier?«
    »Halte mal. Riechst du das? Es riecht nach Glück. Das ist Griechenland. Die Menschen sind bedächtig, sie nehmen sich die Zeit, uns beim Vorbeifahren zuzuschauen, sie atmen tief durch. Siehst du, Momo, ich habe mein ganzes Leben lang hart gearbeitet, aber ich habe langsam gearbeitet, habe mir viel Zeit dabei gelassen, ich wollte keinen großen Umsatz machen oder die Kunden Schlange stehen sehen, nein. Die Langsamkeit, sie ist das Geheimnis des Glücks. Was möchtest du später mal werden?«
    »Ich weiß nicht, Monsieur Ibrahim. Doch,
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