Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Titel: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
Vom Netzwerk:
um ihn dafür zu bestrafen, daß er mich verdächtigte, begann ich auch, Monsieur Ibrahim zu beklauen. Ich schämte mich zwar ein wenig, aber um meine Scham zu bekämpfen, dachte ich beim Bezahlen ganz stark:
    Was soll's, er ist ja nur ein Araber!
    Jeden Tag schaute ich Monsieur Ibrahim in die Augen, das machte mir Mut.
    Was soll's, er ist ja nur ein Araber!
    »Ich bin kein Araber, Momo, ich komme vom Goldenen Halbmond.«
    Ich habe meine Einkäufe zusammengerafft und bin, fix und fertig, raus auf die Straße. Monsieur Ibrahim kann mich denken hören! Also, wenn er mich denken hören kann, dann weiß er vielleicht auch, daß ich ihn beklaue?
    Am nächsten Tag stiebitzte ich ihm keine Büchse, fragte ihn aber:
    »Was ist das, der Goldene Halbmond?«
    Ich muß zugeben, daß ich mir die ganze Nacht lang vorgestellt hatte, wie Monsieur Ibrahim auf der Spitze eines goldenen Halbmonds sitzt und durch einen Himmel voller Sterne fliegt.
    »So heißt eine Region, die von Anatolien bis Persien reicht, Momo.«
    Am nächsten Tag, sagte ich, als ich mein Portemonnaie zückte, wie nebenbei:
    »Ich heiße nicht Momo, sondern Moses.«
    Am nächsten Tag war er es, der daraufhin erwiderte:
    »Ich weiß, daß du Moses heißt, eben deswegen nenne ich dich Momo, das klingt nicht so bedeutend.«
    Am nächsten Tag, als ich meine Centimes zählte, fragte ich:
    »Was haben Sie dagegen? Moses ist jüdisch, nicht arabisch.«
    »Ich bin kein Araber, Momo, ich bin Moslem.«
    »Warum sagt man dann, daß Sie der Araber in der Straße sind, wenn Sie gar kein Araber sind?«
    »Araber, Momo, das bedeutet in unserer Branche: Von acht bis vierundzwanzig Uhr geöffnet, auch am Sonntag.«
    So verliefen unsere Gespräche. Ein Satz pro Tag. Wir hatten Zeit. Er, weil er alt, ich, weil ich jung war. Und jeden zweiten Tag klaute ich ihm eine Büchse.
    Ich glaube, wir hätten etwa ein bis zwei Jahre gebraucht, um ein einstündiges Gespräch zu führen, wären wir nicht Brigitte Bardot begegnet.
    Jede Menge Betrieb in der Rue Bleue. Der Verkehr wird gestoppt. Die Straße gesperrt. Man dreht einen Film.
    Alles, was in der Rue Bleue, der Rue Papillon und in der Rue du Faubourg-Poisonnière ein Geschlecht hat, ist in heller Aufregung. Die Frauen wollen sich vergewissern, ob sie wirklich so schön ist, wie man sagt; die Männer können nicht mehr klar denken, da ihr Hirn in den Hosenstall gerutscht ist. Brigitte Bardot ist da! In voller Lebensgröße, Brigitte Bardot!
    Ich hänge mich zum Fenster raus. Ich schau sie mir an und muß an die Katze von den Nachbarn aus dem vierten Stock denken, eine hübsche kleine Katze, die sich zu gern auf dem Balkon in der Sonne räkelt, aus Lust am Leben, am Atmen, und mit den Augen zu blinzeln scheint, um Bewunderung einzuheimsen. Bei näherer Betrachtung stelle ich fest, daß sie irgendwie den Dirnen in der Rue de Paradis ähnlich ist, ohne zu kapieren, daß es in Wahrheit die Dirnen in der Rue de Paradis sind, die sich als Brigitte Bardot verkleiden, um Kunden anzulocken. Dann entdecke ich zu meinem höchsten Erstaunen, daß Monsieur Ibrahim in seiner Ladentür steht. Zum ersten Mal - jedenfalls seitdem ich auf der Welt bin - hat er seinen Hocker verlassen.
    Nachdem ich zugeschaut habe, wie sich das kleine Tierchen Bardot vor den Kameras rumgeräkelt hat, denke ich an die schöne Blonde, die meinen Teddy hat, ich beschließe, runter zu Monsieur Ibrahim zu gehen und sein Abgelenktsein auszunutzen, um ein paar Büchsen zu klauen. Katastrophe! Er ist wieder hinter seine Kasse zurückgekehrt. Seine Augen aber lachen und schauen über die Seifen und Wäscheklammern hinweg auf die Bardot. So habe ich ihn noch nie gesehen.
    »Sind Sie verheiratet, Monsieur Ibrahim?«
    »Natürlich bin ich verheiratet.«
    Er ist es nicht gewohnt, daß man ihm Fragen stellt.
    In diesem Augenblick hätte ich nicht darauf geschworen, daß Monsieur Ibrahim wirklich so alt war, wie alle Welt glaubte.
    »Monsieur Ibrahim! Stellen Sie sich vor, sie säßen mit Ihrer Frau und Brigitte Bardot in einem Boot. Das Boot kentert. Was tun Sie?«
    »Ich wette, daß meine Frau schwimmen kann.«
    Ich hatte Augen noch nie so lachen sehen, sie lachten aus vollem Hals, seine Augen versprühten ein Feuerwerk.
    Plötzlich, Klarmachen zum Gefecht, Monsieur Ibrahim geht in Habacht-Stellung: Brigitte Bardot betritt seinen Laden.
    »Guten Tag, Monsieur, haben Sie Wasser?«
    »Aber sicher, Mademoiselle.«
    Und das Unvorstellbare wird Ereignis: Monsieur Ibrahim geht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher