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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Titel: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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wir uns in der Tekke drehten, die nannte er den Tanz der Alchimie, den Tanz, der Kupfer in Gold verwandelt. Oft zitierte er Rumi. Er sagte:
    Gold braucht keinen Stein des Weisen, aber das Kupfer, ja.
    Veredele dich.
    Was lebt, laß sterben: Es ist dein Körper.
    Was tot ist, erwecke: Es ist dein Herz.
    Was anwesend ist, verstecke: Es ist das Diesseits.
    Was abwesend ist, laß kommen: Es ist das Jenseits.
    Was existiert, vernichte: Es ist die Begierde.
    Was nicht existiert, erzeuge: Es ist das Sehnen. 
    Noch heute, wenn es mir nicht gut geht, drehe ich mich.
    Ich drehe mich mit einer Hand nach oben zum Himmel, und drehe. Ich drehe mich mit einer Hand runter zur Erde, und drehe. Der Himmel dreht sich über mir. Die Erde dreht sich unter mir. Ich bin nicht mehr ich, sondern eines dieser Atome, die sich um die Leere herum drehen, die alles ist.
    Wie Monsieur Ibrahim sagte:
    »Deine Intelligenz steckt in deinem Knöchel, und dein Knöchel kann sehr tief denken.«
    Ich bin per Anhalter zurück. Ich habe mich, wie Monsieur Ibrahim von den Clochards sagte, »Gott anvertraut«: Ich habe gebettelt, und ich habe im Freien geschlafen, und auch das war ein schönes Geschenk. Ich wollte die Scheine nicht ausgeben, die mir Monsieur Abdullah, kurz bevor ich ging, beim Abschiedskuß in die Tasche gesteckt hatte.
    Zurück in Paris stellte ich fest, daß Monsieur Ibrahim bereits alle Vorkehrungen getroffen hatte. Er hatte mich für mündig erklären lassen: Ich war also frei. Und ich erbte sein Geld, seinen Laden und seinen Koran.
    Der Notar übergab mir den grauen Umschlag, aus dem ich vorsichtig das alte Buch herausholte. Endlich würde ich wissen, was in seinem Koran stand.
    In seinem Koran waren zwei getrocknete Blumen und ein Brief von seinem Freund Abdullah.
    Jetzt bin ich Momo, alle in der Straße kennen mich. Und ich mache nun doch nicht in Import-Export, das hatte ich Monsieur Ibrahim bloß gesagt, um ihn zu beeindrucken.
    Ab und zu kommt meine Mutter vorbei. Um mich nicht zu ärgern nennt sie mich Mohammed und erkundigt sich, ob ich was Neues von Moses wüßte. Und dann berichte ich ihr.
    Neulich habe ich ihr erzählt, daß Moses seinen Bruder Popol wiedergefunden hätte, daß beide zusammen eine Reise machten und daß man sie meiner Meinung nach so bald nicht wiedersehen würde. Vielleicht wäre es besser, nicht mehr über das Thema zu reden. Sie dachte lange nach - bei mir ist sie ja immer auf der Hut -, dann murmelte sie verständnisvoll:
    »Eigentlich ist es auch besser so. Es gibt Kindheiten, von denen man sich trennen, Kindheiten, von denen man sich erholen muß.«
    Ich habe ihr gesagt, Psychologie sei nicht mein Fach: Ich handle mit Kolonialwaren.
    »Ich würde dich gern mal zum Abendessen einladen, Mohammed. Auch mein Mann würde dich gerne kennenlernen.«
    »Was macht er?«
    »Er unterrichtet Englisch.«
    »Und Sie?«
    »Ich unterrichte Spanisch.«
    »Und in welcher Sprache werden wir dann beim Essen reden? Nein, das war nur ein Witz, ich bin einverstanden.«
    Sie errötete vor Zufriedenheit, daß ich zugesagt hatte, ja, wirklich, es war eine Freude, das mitanzusehen: Man hätte meinen können, ich hätt' ihr gerade fließend Wasser gelegt.
    »Also, abgemacht? Du kommst?«
    »Jaja.«
    Klar, es ist schon ein bißchen merkwürdig, zwei Lehrer des Nationalen Erziehungswesens laden Mohammed, den Kolonialwarenhändler, zu sich nach Hause ein, aber im Grunde, warum eigentlich nicht? Ich bin kein Rassist.

    Nun ja, jetzt... ist das zu einer Gewohnheit geworden. Jeden Montag bin ich mit meiner Frau und meinen Kindern bei ihnen. Da meine Kleinen sehr lieb sind, sagen sie Oma zu ihr, wie das die Spanischlehrerin freut, das muß man gesehen haben! Manchmal ist sie vor Glück so aus dem Häuschen, daß sie mich diskret fragt, ob es mir nicht peinlich ist. Nein, antworte ich ihr, ich habe Sinn für Humor.
    Nun ja, jetzt bin ich Momo, der mit dem Laden in der Rue Bleue, in der Rue Bleue, die nicht blau ist.
    Für alle Welt bin ich der Araber an der Ecke.
    Araber, was in unserer Branche bedeutet, nachts und auch am Sonntag geöffnet.

eBook-Version November 2012 von einem Schalke-Fan. Glück auf!
    (" Mohammed war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht"  -  Schalke 04  Vereinslied "Blau und weiß wie lieb ich dich")

    Grüße an SPIEGELbest und die Hörspiel-Scene
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