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Kalte Freundschaft

Titel: Kalte Freundschaft
Autoren: Simone van Der Vlugt
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Dieses Gefühl der Ohnmacht … es raubt mir den Schlaf, nimmt mir den Appetit und sorgt dafür, dass ich mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren kann.
    Die Signale sind eindeutig, sie lassen sich nicht leugnen. Ich kenne sie von früher. Eine Zeit lang war ich deswegen bei einem Psychiater in Behandlung, doch als er anfing, in meiner Kindheit zu wühlen, bin ich nicht mehr hingegangen.
    Ich weiß, dass da etwas ist, dem ich mich nie richtig gestellt habe. Die Angst, wie es wirklich um meine psychische Gesundheit bestellt ist, hat sich wie Stacheldraht um mich gewickelt. Mich davon zu befreien, dürfte nicht ohne schmerzhafte Verletzungen abgehen. Bisher habe ich es jedenfalls nicht gewagt.
    Weil ich nicht wieder einschlafen kann, stelle ich mich im Bademantel ans Fenster und sehe zu, wie es allmählich hell wird. Langsam steigt die Sonne und wirft ihre ersten Strahlen auf das Wasser gegenüber. Der Himmel gleicht einer Leinwand, auf der ein Maler aufs Geratewohl rosa und blaue Tupfer angebracht hat, und der Anblick berührt mich in seiner Schönheit.

    Dabei bin ich für solche Dinge eher weniger empfänglich. Schon in jungen Jahren habe ich gelernt, dass Einsamkeit etwas Unumgängliches ist, mit dem sich jeder früher oder später auseinandersetzen muss. Schon als Kind wusste ich, dass diese Empfindung nie ganz verschwinden, dass es in meinem Leben nie einen Menschen geben würde, auf den ich mich völlig verlassen kann. Also lernte ich, mich auf mich selbst zu verlassen. Diese Überzeugung ist ein Teil von mir, ich habe mich damit abgefunden. Was mir zu schaffen macht und mich immer wieder aus dem Gleis wirft, ist die Wucht der Erinnerungen.
    Ich will nichts weiter als ein normales Leben führen. Deshalb versuche ich, meine Gefühlsaufwallungen zu beherrschen. In den letzten Jahren sind sie nur noch selten vorgekommen, und jedes Mal ist es mir gelungen, sie zurückzudrängen. Es hat Kraft gekostet, aber ich habe es geschafft, meine niederen Instinkte hinter einer Fassade zu verbergen. Doch sie ist brüchig, und dahinter brodelt es, das weiß ich.

Ich danke:
    Wim van der Vlugt für seine ständige Unterstützung
     
    Peterpaul Tuijn für seine geduldigen Antworten auf meine Fragen zur Polizeiarbeit
     
    Rens Koldenhof und Theo de With vom Leidsch Dagblad für ausführliche Informationen über den Alltag in einer Zeitungsredaktion
     
    Sylvia Beljon für das Lesen und Korrigieren der Rohfassung
     
    und natürlich dem gesamten Team von Ambo/Anthos , das sich auch diesmal wieder fantastisch für mich eingesetzt hat.

1
    Sie hört den Regen, noch ehe sie ihn spürt. Ein leichtes Prasseln auf den Blättern der Bäume, so fein, dass sie erst zweifelt, ob es tatsächlich regnet.
    Eine plötzliche Windbö, die klingt wie ein Seufzen, kündigt das Ende eines warmen Tages an.
    Nadine fröstelt. Sie hat keine Jacke dabei. Als sie am Morgen aus dem Haus ging, deutete nichts auf Regen hin. Es war ein warmer Maitag, der zwölfte in Folge.
    An schönes Wetter gewöhnt man sich rasch. Nadine will die sommerliche Wärme nicht missen, die Sonne, die sie mittlerweile als selbstverständlich betrachtet. Sie will ihre bereits gebräunte Haut nicht wieder unter Kleiderschichten verstecken müssen.
    Sie lebt mit ihrer Tochter in Leiden, in einem hübschen grünen Wohnviertel, kaum zehn Minuten mit dem Rad von der Redaktion des Leidsch Dagblad entfernt, wo sie als Journalistin im Kulturressort arbeitet.
    Nadine mag ihren Beruf, auch wenn der Vollzeitjob sich nicht leicht mit ihrer Rolle als Mutter vereinbaren lässt. Schon gar nicht, seit Marielle in der Pubertät ist.

    Bevor der Regen stärker wird, biegt Nadine in ihre Straße ein, fährt den schmalen Weg hinter der Häuserzeile entlang und öffnet das Gartentor.
    Marielles Rad liegt auf dem Boden und versperrt den Weg. Nadine stellt es in den Geräteschuppen, schiebt dann ihr eigenes Rad hinein und geht durch die Hintertür ins Haus.
    My home is my castle , heißt es in England, und Nadine könnte es nicht besser ausdrücken. Sie bewohnt ein Reihenendhaus, sodass ihr Grundstück größer ist als die meisten anderen im Viertel, und der farbenfrohe Garten im englischen Stil gibt ihr immer wieder das Gefühl von Urlaub. Dort kommt sie nach einem anstrengenden Arbeitstag zur Ruhe.
    In die Küche scheint um diese Zeit die warme, goldene Abendsonne, und das knallrote Sofa im angrenzenden Wohnzimmer lädt zum Ausruhen ein.
    Vor sich hin summend, betritt sie den Flur und hebt die Post von
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