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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin
Autoren: Frederica de Cesco
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er.
    Er reichte mir die Hand, und ich stieg mit weichen Beinen aus dem Boot. Giovanni zeigte auf eine Felsnase, auf halber Höhe.
    »Ich muss bis da oben klettern. Da kann ich das Boot sehen und Zeichen geben. Ob du es bis dahin schaffst?«
    Ich stemmte mich mühsam hoch, tat den ersten Schritt. Weitere Schritte folgten, es ging leichter, als ich gedacht hätte. Wir stiegen empor. Am Anfang war der Felsen mit Geröll bedeckt und recht steil, doch dann wurde es besser. Die Steine, von der Sonne gebleicht, vom Regen verwaschen, bildeten eine Art Treppe, an der wir uns hochziehen konnten. Die Sonne stieg und brannte, Trinkwasser hatten wir nicht mehr. Doch es machte mir nichts aus. Ich hatte auch nicht das geringste Bedürfnis zu essen, mein Magen war wie zugeschnürt. Es steckte eine geradezu fürchterliche Entschlossenheit in mir, mein seelisches Gleichgewicht zu bewahren, mich nicht von der Erschöpfung überwältigen zu lassen. Eine Zeit lang waren nur unsere keuchenden Atemzüge zu hören. Hochkletternd hielt Giovanni Umschau, doch außer einem Frachter am Horizont war kein Boot zu sehen. Endlich erreichten wir einen großen, flachen Felsblock. Hier hatte sich in kleinen Mulden
Regenwasser angesammelt, sodass spärliches Gras und ein paar kleine Sträucher Nahrung für ihre Wurzeln gefunden hatten. Giovanni überflog das Meer mit einem Blick.
    »Höher brauchen wir nicht zu steigen.«
    Ich kauerte unbeholfen nieder, den Rücken gegen einen Felsen gelehnt. Mein ganzer Körper war wie gerädert. Giovanni setzte sich neben mich.
    »Leg deinen Kopf an meine Schulter.«
    Ich legte mich in die Beuge seines Armes, spürte das Auf und Ab seiner Atemzüge. Ein Weile saßen wir still, nur gemeinsam atmend. Dann bewegte er sich, und auch ich hob den Kopf. Unsere Augen trafen sich. Giovannis Arme schlangen sich fest um mich, mein Gesicht presste sich an seinen Hals, seine Brust drängte an meine, keuchend und pochend mit seinem heftig schlagenden Herzen. Lange umarmten wir uns, stumm, verzweifelt, nach Atem ringend. Weiter geschah nichts. Die Kraft des Begehrens war ausgelöscht. Da gab es nichts mehr, außer den Schmerz, der alle Leidenschaft besiegte. Was übrig blieb, war die bange Gewissheit, dass auch dieser letzte Austausch vergänglich war, dass unsere Umarmung kaum noch zählte, dass jeder Augenblick, der kam, bereits im Verschwinden war, unwiderruflich fortgetragen mit jedem Atemzug, mit jeder Hebung und Senkung des Meeres. Einst, vor langer Zeit, hatten wir einen Bund fürs Leben geschlossen, dem Zwang eines Naturgesetzes gleich, doch es gab Dinge, die wir nicht teilen konnten, eine Zukunft, die jeder für sich erleben musste. Unsere Liebe, unwiederbringlich verloren, schenkte keine Erlösung, linderte keine Qual.
    Wir schliefen. Einen Augenblick nur? Eine Ewigkeit? Es war ein tiefer Schlaf der Erschöpfung. Giovanni lag halb auf meinem Arm. Ich erwachte, weil mir der Arm wehtat. Da bewegte auch er sich, rollte sich leicht auf die Seite, setzte sich auf. Die Sonne stand hoch über uns. Giovanni warf einen Blick auf seine Uhr und sah über das Meer, das jetzt flüssiges Feuer war.
Ich blinzelte mit verklebten Augen in die Helle und hatte entsetzliche Kopfschmerzen.
    »Siehst du was?«, fragte ich.
    »Ein paar Boote«, murmelte er.
    »Und deine Yacht?«
    »Noch nicht. Aber die ist leicht zu erkennen.«
    Ein Vogelschwarm kreiste über uns, setzte sich in die Büsche, wo irgendwelche kleinen Früchte wuchsen. Der Tag würde weichen und nichts als Tränen hinterlassen. Giovanni setzte sich wieder zu mir.
    »Was hast du?«, fragte er zärtlich.
    »Ach nichts, nur Kopfschmerzen.«
    »Schlafe noch ein wenig. Ich werde aufpassen.«
    »Nein, ich will nicht mehr schlafen.« Er umfasste mich mit beiden Armen. Mein Kopf schmerzte wie verrückt, aber mir war, als ob Giovannis Arme eine schützende Decke bildeten, sodass ich trotzdem wieder einduselte. Irgendwann schreckte ich hoch, spürte Giovanni nicht mehr, tastete angstvoll über die Steine.
    »Wo bist du?«
    »Hier.«
    Sein Schatten fiel über mich.
    »Warst du fort?«, stammelte ich.
    »Nein, ich bin hier.«
    »Komm zurück. Mir ist kalt.«
    »Es ist seltsam«, sagte er.
    Seine Stimme klang anders als zuvor. Ich wurde schlagartig wach, richtete mich auf.
    »Was ist seltsam?«
    »Die Boote. Ich habe sie gezählt, da sind mindestens zehn. Und es sind keine Fischerboote.«
    Ich taumelte auf die Beine, blickte mit müden Augen über das Meer. Der Wellengang war ziemlich stark.
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