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Mondschwingen (German Edition)

Mondschwingen (German Edition)

Titel: Mondschwingen (German Edition)
Autoren: Jasper Sand
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sieht, dann sind wir so gut
wie tot. Niemand auf der Frostburg darf wissen, dass wir Mondschwingen sind,
wir müssen uns anpassen, immerzu anpassen!“ Sätze wie diese sagte Mortis oft,
meistens ganz leise, als könne man ihn selbst durch die dicksten Wände hören.
    Die Bücher unter Linus‘ Mantel waren dick
und schwer und drückten gegen sein polterndes Herz. Wie der dumme Spielmann
geschaut hatte, als er den Dieb in seiner Bibliothek entdeckt hatte! Das
Glasauge wäre ihm vor Verblüffung fast auf den Boden gepurzelt. Ausgerechnet
seine liebsten Bücher, seine schönsten sicherlich.
    Die Finsternis war zäh, nur die
kreischenden Geister in den Bäumen besprenkelten den Wald mit Lichtpunkten. Sie
sangen ein Schlaflied, so schrecklich falsch, dass es fast nicht
wiederzuerkennen war. Ihr Gesang schwoll an, man hörte weder die schluchzenden
Tränensänger im Unterholz, noch die zirpenden Irrlichter und erst recht nicht
den schleichenden Mann hinter den Bäumen, seine Schritte im Laub, seinen leisen
Atem.
    Er tauchte ganz plötzlich von hinten auf,
packte Linus am Kragen und drehte ihn zu sich herum. „Ich kenn dich, aber du
kennst mich nicht.“ Alles ging furchtbar schnell. Der Fremde drückte Linus
gegen einen Baum und hielt ihm ein Messer an den Hals.
    „Kastja ist mein Name, Kastja Orlon.“ Bei
jedem Wort spuckte er weißen Atem aus. „Einer meiner Spione hat dich entdeckt.
Hier draußen im Wald, vor wenigen Nächten. Du hättest nicht fliegen dürfen.“
Behutsam zog er sich die Kapuze vom Kopf, langes, schwarzes Haar fiel dem
Fremden ins bleiche Gesicht. Seine Augen waren auf Linus gerichtet, blaue
Augen, so starr und kalt wie Eis.
    Linus versuchte sich aus dem Griff des Fremden
zu winden,   wollte um sich schlagen, doch
der Mann mit dem Messer war stärker.
    „Lass das.“ Die Messerspitze rückte näher
heran, sie fühlte sich viel zu kühl auf Linus‘ Haut an. „Wenn die Beute einmal
in den Klauen ihres Jägers ist, dann kann sie nicht mehr fort. Nie mehr.“
Kastja grinste, seine Zähne schimmerten im Dunkeln.
    Er war ein Jäger, sein Name war Kastja und
er hatte eine Narbe auf der Wange.
    „Jetzt weißt du, wer ich bin, was?“ Kastja
lachte, die Klinge bewegte sich an Linus‘ Kinn. „Ich bin der König der
Sternenjäger, der blutrünstigste Jäger von allen. In Zeiten wie diesen, wo ihr
euch versteckt und verkriecht und kaum mehr herauswagt, seh‘ ich Elstern wie
dich furchtbar selten.“
    Kastjas Gesicht war nur ein paar
Fingerbreit von Linus entfernt. Mortis hatte ihn so oft vor Sternenjägern
gewarnt, vor dem Menschenbund, der Mondschwingen verfolgte und einsperrte und
der manchmal noch viel schlimmere Dinge tat. Früher hatte man einmal die
Mondschwingen Sterne genannt, einer Sage nach erlosch beim Tod einer
Mondschwinge ein Stern am Himmel. Stern für Stern würde verschwinden, bis die
Nacht sich noch ein bisschen mehr verdunkelte.
    „Ihr wisst doch sicherlich, dass ich keine
Mondschwinge bin. Ich lebe unter Menschen, das tu ich wirklich, eigentlich bin
ich doch ein Mensch.“ Linus wusste gar nicht, was er da sprach. Er hörte auch
nicht, wie ängstlich er klang, wie zittrig seine Stimme war.
    „Warum lasst Ihr mich nicht gehen? Ihr
könnt mich gehen lassen, ich tue nichts, ich bin doch nur ein Mensch, der fliegen
kann.“ Kastja drückte ihm den Kopf gegen den Stamm. „Warum lasst Ihr mich nicht
gehen? Warum könnt Ihr damit nicht aufhören?“
      „Warum?“ Kastja lachte wieder, scheppernd und
hohl, als hätte er das Lachen verlernt.
    „Weil ihr verlogen, heimtückisch und listig
seid, weil vor euch nichts sicher ist, weil ihr tötet, wenn ihr nur genug Gold
dafür bekommt … und weil du kein bisschen besser bist als der ganze Rest. Wenn
ich dich nicht töte, dann tötest du mich irgendwann. Weil wir uns immer hassen
werden, wir Menschen und Mondschwingen.“ Kastja kam näher heran, seine langen
Haare fielen Linus ins Gesicht und kitzelten ihn an der Nase. „Darum nimm es
mir nicht übel, kleiner Freund, wenn ich dir die Kehle durchschneide.“
    Blut floss an Linus‘ Hals herab, winzig
kleine Tropfen. Kastjas klebrige Worte vernebelten ihm den Verstand und da
endlich stieß er sich ab, rammte Kastja den Ellenbogen in den Magen und rannte.
Er rannte, so schnell er nur konnte u nd hob nach ein paar Meter vom Boden ab und
einen Moment lang, einen wunderbar berauschenden Moment lang, dachte Linus
wirklich, dass er schneller war.
    Einen Herzschlag später war es schon
vorbei.
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