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Mondschwingen (German Edition)

Mondschwingen (German Edition)

Titel: Mondschwingen (German Edition)
Autoren: Jasper Sand
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lange niemand mehr, warum ihr euch gegenseitig hasst, der Hass
ist einfach da, als hätte es ihn schon immer gegeben. Er hat sich in euch
hineingefressen, hat euch befallen, und nun wollt ihr ihn beseitigen, indem ihr
Eure Feinde beseitigt.“ Er holte Luft, trat noch eine Stufe nach oben. Ganz
dicht standen er und Liv voreinander. „Ihr wäret die Heldin, die Menschen
würden Euch verehren, weil Ihr die Feinde auf einen Schlag vernichtet hättet.
Wir wären nur die gehorsamen Marionetten im Hintergrund.“
    „Es reicht, Ole!“ Dargolan zog ihn zurück,
Ole schwankte, taumelte ungeschickt die Stufen hinab.
    „Was ist?“, schrie er plötzlich und
wirbelte herum. „Wollt ihr tatsächlich auf ihr Angebot eingehen? Wollt ihr euch
benutzen lassen, weil ihr tatsächlich glaubt, was sie sagt? Dass wir wieder
mächtig und stark werden, wie in alten Zeiten?“ Ole spuckte auf den Boden. „Wie
erbärmlich ihr seid! Wir selbst wurden vernichtet und nun sollen wir es sein,
die ein anderes Volk vernichten. Wir wurden von Menschen verbannt und nun sind
sie es wieder, die uns zurückrufen, und wir kommen wie räudige Köter
angekrochen!“
    Liv kam langsam auf ihn zu und gab ihm eine
Ohrfeige. „Niemand schreit in meinem Thronsaal.“ Wie mutig, wie
furchteinflößend sie klang.
      „Wir
werden über Euer Angebot nachdenken, Eure Majestät.“ Dargolan senkte den Kopf
und kniete auf den Boden nieder.
    Liv brummte zustimmend und gab ihm mit
einer Handbewegung zu verstehen, dass er sich zu entfernen hatte. Eine Flut aus
schwarzem Stoff rauschte den halbgeöffneten Türen entgegen, als sich die Magier
zurückzogen. Keiner von ihnen blickte sich um, als sie die Halle verließen.
Niemand blickte sich zu Ole um, niemand verabschiedete sich von ihm, als sie
ihn alleine ließen.
      Allein.
So stand der letzte Magier vor Liv, wirkte verloren ohne seine Freunde. Ein
paar Schritte hinter ihm war Bartock, schlich sich
Stück für Stück, schwer atmend, an sein Opfer heran.
    „Ich will Eure B urg
verlassen, Eure Insel …“, flüsterte Ole.   „Ich will … nach Hause. Ich habe hier nichts
verloren, ich will kein Mörder sein. Euer Plan ist falsch.“ Der Magier kam Liv
so nah, dass sie seinen Atem auf der Stirn spürte.
    „Ich hatte gehofft, Ihr würdet zustimmen.
Ihr und die anderen.“ Liv fiel das Sprechen schwer. Es musste innerhalb eines
Wimpernschlags geschehen, Ole durfte nicht die Gelegenheit haben, seine Kräfte
zu benutzen. Bartock musste schnell sein.
    Kaum einen Fingerbreit w ar Bartock
von ihr entfernt - sie sah ihn an und erkannte seinen Zweifel. Er wollte nicht.
Er war ein Berater, nur ein Berater …
    „Unsere Welt wird sterben.“ Ole wandte sich
um und sah noch einmal über die Schulter zu Liv zurück. „Malvö wird zerbrechen,
wegen Euch und den Mondschwingen.“
    Liv hörte ihm gar nicht mehr zu. Sie hatte
sich entschieden. Blitzschnell fasste sie in Bartocks Manteltasche, umfasste
den Dolchgriff und zog ihn hervor. Als sie die Waffe in Oles Rücken rammte, war
sein Gesicht noch immer seitlich zu ihr gewandt. Lautlos fiel er zu Boden.
      Bartock setzte sich auf die Stufen des Podests
und schloss die Augen. „Die anderen Magier werden nicht zustimmen, nicht jetzt,
nachdem …“
    „Wir werden ihnen erzählen, dass er
gegangen ist. Er wollte nicht mehr bleiben.“ Liv ließ die Waffe fallen, die
Thronhalle vor ihren Augen verschwamm zu einem Bild aus tausend Farben. Blut
floss über die grauen Fliesen, wie zuckende Finger tastete es sich weiter.
    Liv wich zurück, presste sich an die Wand
und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie spürte Bartocks Finger auf ihrer
Schulter. Der Berater sagte etwas, doch sie verstand ihn nicht.
    „Ich habe Angst“, flüsterte sie. „So viel Blut
…“
    Der Anfang vom Ende. Er hatte begonnen.

 
            

 
 
 
 
 
 
 
    TEIL I
      Vier
Vögel

 

 
 
    LINUS
    und der Sternenjäger in der Nacht
                                                  
    Linus hielt den Atem an und schlüpfte
durchs Fenster. Er wagte nicht die Füße auf den Boden zu setzen, schwebte
weiter, ganz nah an den Wänden. Mortis hatte ihm tatsächlich nicht zu viel
versprochen. Der Raum war voller Bücher, dicht an dicht standen sie, überall
waren Seiten und Papier, glänzende und matte Buchrücken, goldene Aufschriften,
die im Mondlicht aufblitzten, einige Bücher ohne Namen.
    Am liebsten hätte Linus sie alle
mitgenommen,
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