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Mondschwingen (German Edition)

Mondschwingen (German Edition)

Titel: Mondschwingen (German Edition)
Autoren: Jasper Sand
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mich
anlügst.“
    Die Wahrheit, dessen war sich Rubens schon
lange bewusst, schmerzte viel mehr als die Lügen, hinter denen er sich schon
allzu lang versteckte. Seit zwei Wintern wusste er, dass er nicht war, was er
sein wollte – die Jahre zuvor hatte er nur gefühlt, dass er ohne Mondlicht
nicht leben konnte, dass er ohne es verdurstete. Fast jede Nacht war er
herausgeschlichen und hatte heimlich getrunken, aber niemals h atte er
glauben wollen, dass er eine Elster war.  
    „Warum hast du es noch niemandem gesagt?“
Rubens‘ Stimme war sehr leise, verlor sich fast im Geraschel und Gewisper des
Waldes.
    Djergil kicherte, es klang so seltsam, wenn
er es tat. „Kastja würde mich enthaupten, ehe ich meine Vermutung zurücknehmen
könnte. Du bist sein engster Verbündeter, er vertraut dir blind. Wer dich
beleidigt, beleidigt auch ihn.“
    Rubens spürte die Angst, die schleichende,
heimtückische Angst, die immer angekrochen kam, sobald er an seinen Verrat
dachte, den er doch gar nicht hatte begehen wollen.  
    Seine Eltern hatten ihm nie verraten, dass
sie Mondschwingen waren. Sie hatten zusammen in einer kleinen Hütte gelebt, im
dunkelsten Teil des Trudanwaldes. Wir lieben die Einsamkeit, sagten sie, wir
lieben sie so sehr. Rubens mochte sie auch, mochte die Stille, das Licht, das
durch grüne Dächer fiel, das Murmeln und Prusten der Bäche, die Glühwürmchen in
der Nacht und den Gesang der Baumgeister. All das hatte zu seinem Leben gehört.
Bis zu jenem Tag, der alles veränderte.
    Rubens hatte wie immer auf seine Eltern
gewartet, oft angelten sie oder jagten Tiere und wenn es dämmerte, kamen sie
zurück, erschöpft und müde, aber immer zufrieden. An jenem Tag, der alles
veränderte, kamen sie nicht zurück. Nachts verließ Rubens die Hütte und er
wusste, er würde sie irgendwo finden; an einem der Seen, dort irgendwo, das
wusste er, würden sie sitzen und sie würden lachen und Rubens in die Arme
schließen. Als es heller wurde, fand Rubens sie endlich. Sie lagen dicht nebeneinander,
die Augen geschlossen. Fast hätte man denken können, sie schliefen, wenn ihre
Arme nicht geblutet hätten.
    Rubens rannte fort, einen ganzen Tag lang
rannte er nur, bis es dunkel wurde und er Lichter hinter den Bäumen sah. Zelte
waren dort und Lagerfeuer und jede Menge Menschen. Sternenjäger nannten sie
sich, sie alle waren tapfere und starke Krieger und so erzählte Rubens nichts
von seinen toten Eltern, denn Männer wie er trauerten nicht lang.
      „Ich
weiß es seit zwei Jahren“, raunte Rubens. Er redete, obwohl er den Mund halten
wollte, obwohl er sich mit jedem Wort ein Stück tiefer ins Schlamassel zog.
„Von einem Tag auf den anderen verstand ich es. Genau genommen hatte ich es
schon viel eher geahnt - seit zwei Jahren versuche ich zu gehen, Kastja
zurückzulassen, doch es gelingt mir nicht, zu lange schon war ich bei euch.“
    Vor zwei Jahren hatte er von einem Ritual
erfahren, in dem Kastja seinen Opfern die Arme blutig geschnitten hatte und das
er das „Flügel brechen“ nannte. Man munkelte, er habe nur deswegen damit
aufgehört, weil er eine Frau kennen gelernt hatte.
    Kastjas Flüche wurden lauter, er kam näher,
jeder seiner Schritte war im knisternden Laub zu hören.
    „Was hast du vor?“ Djergil blickte ihn an,
sah beinahe mitleidig aus. „Willst du dich an Kastja rächen? “
    Rubens schnaubte. Rache. Daran hatte er in
den letzten zwei Jahren schon oft gedacht – Kastja hatte seine Eltern getötet,
hatte ihn zum Waisen gemacht. Und dennoch … und trotzdem … Kastja war so lang
ein Freund gewesen, ein Verbündeter. Sein König.  
    Djergil sagte nichts mehr, denn es musste
nichts mehr gesagt werden. Im nächsten Moment zuckte er zusammen, seine Augen
wurden groß. Er ächzte, wackelte mit den Armen, wollte sich abstützen, fiel auf
die Knie. Seine Hände tasteten fahrig an Rubens empor, er verkrampfte sich und
schließlich fiel er lautlos zu Boden. In seinem Rücken steckte ein Schwert.
    „Ich schätze, er ist es gewesen?“ Kastja
trat aus dem Schatten, bückte sich zu Djergil und steckte das Schwert in die
Scheide.
    Rubens traute seinen Augen nicht. „Djergil
...“ Er stand nur da und starrte.
    „Die Wunde tut weh, obwohl es nur die
Schulter ist. Du weißt ja, ich mag Blut nicht.“
    Rubens nickte, ohne den Blick abzuwenden.
    „Der Bogen in deiner Hand“ – Kastja blickte
zu der Waffe, die Rubens immer noch trug – „den hast du Djergil abgenommen …
oder nicht?“
    Rubens
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