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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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Aus heiterem Himmel
     
    Zu viel Alkohol, zu wenig Schlaf. In aller Herrgottsfrüh stieg Spechtenhauser aus dem Mercedes und wankte zum Hangar des Sportflughafens bei dem kleinen Ort Prosecco hinüber. Gäbe es am Himmel Alkoholkontrollen wie Samstagnacht in der Stadt, hätte er seinen Abflug sicherlich verschoben. Den Hangar aus Wellblechplatten hatten noch die Alliierten Ende der Vierziger erbaut, als sie nach dem Krieg das Free Territory of Trieste, ein erstes UN-Protektorat, verwalteten; er hätte längst einer grundlegenden Renovierung bedurft.
    Ratlos betrachtete Spechtenhauser das Schloss und den Schlüssel in seiner Hand. Hatte hier jemand eingebrochen? Der Wachdienst fuhr nachts zweimal vorbei und sah nach dem Rechten, seit der alte Mann versprochen hatte, die Gebühren dafür zu übernehmen.
    Die Torflügel öffneten sich mit blechernem Gerumpel, die Morgensonne fiel auf den Lack der einmotorigen Leichtflugzeuge, die in der vordersten Reihe standen. An keinem konnte Spechtenhauser Spuren eines Einbruchs entdecken, auch die Werkbank und die Vorhängeschlösser an den Werkzeugschränken waren unversehrt, genauso wie das Treibstofflager draußen. Während er seine beiden Fiat-Flugzeuge aus den dreißiger Jahren kontrollierte, musste er sich wiederholt aufstützen, was ihn belustigte. Sein kurzes dunkles Lachen verklang im Hangar. Dann raffte er sich wieder auf und nahm die zweimotorige Reims-Cessna F406 Executive unter die Lupe. Das Fahrwerk war in Ordnung, und nirgendwo entdeckte er Spuren von Gewaltanwendung. Zufrieden schloss er die Kabinentür auf, zog sich die Treppe hinauf und ging leicht gebückt zwischen den sechs ausladenden Ledersesseln nach vorne zum Cockpit, wo er sich auf den linken Pilotensessel fallen ließ. Er war in seinem Leben schon besoffener geflogen, und damals waren die Maschinen technisch lange nicht so ausgereift gewesen. Heute konnte einem eigentlich nichts mehr passieren, und der Flug dauerte ohnehin nicht lang.
    Die in leuchtendem Rot und Matterhornweiß lackierte Cessna war ein komfortables Flugzeug, das 1989 in Reims in Frankreich gebaut worden war. Spechtenhauser hatte sie einem säumigen Schuldner abgenommen und damit ein blendendes Geschäft gemacht, doch setzte er sie nur für lange Distanzen ein oder wenn er Passagiere an Bord hatte. Müsste er sich nicht an vorgeschriebene Flugrouten halten, könnte er nach einer halben Stunde bereits auf der Landebahn des Flughafens Bozen aufsetzen. Zweihundert Kilometer Luftlinie waren es nur, doch selbst über den Wolken war die Freiheit nicht mehr grenzenlos. Mit der Fiat C.R.20 von 1931, an der er die Läufe der Maschinengewehre hatte verschweißen lassen müssen, würde ihn das ganze Regelwerk kaltlassen. Sie hatte weder Sprechfunk noch Radar und erst recht keinen Bordcomputer. Gute Augen, ein Kompass, ein Höhenmesser und eine Tankuhr genügten. Mit ihr war Spechtenhauser am liebsten unterwegs, sie war zwar nur halb so schnell wie die Reims-Cessna, doch flog man auf Sichtweite und mit einer Landkarte auf dem Schoß, wohin es einem beliebte. Und genau deshalb hatte er sich vor vielen Jahren entschieden, keine langen Strecken auf verstopften Autobahnen mehr zu machen.
    Heute war ein großer Tag: In Spechtenhausers Aktenkoffer lagen drei fällige Schuldscheine, die eine Million wert waren. Und am Nachmittag würde er das größte Geschäft seines Lebens einfädeln, das er bis jetzt mit achthunderttausend Euro vorfinanziert hatte. Sein Plan war raffiniert. Alle würde er aufs Glatteis führen, die bisher unverschämt von seiner Großzügigkeit profitiert hatten. Es würde ein Fest werden. Und bevor er zurückflog, erwartete er am Flughafen die Lieferung seines Weinguts bei Eppan. Der Stauraum der Maschine war groß genug für die einzeln in Holzkistchen verpackten Riservas ausgewählter Spitzenjahrgänge, die er nun endlich verlagerte. In seinem Alter trank man keinen Fusel mehr.
    Spechtenhauser schaltete die Zündung ein und überprüfte die riesige Instrumententafel vor sich. Um fünf nach sechs startete er den linken Propeller, rollte die Cessna F406 behutsam aus dem Hangar hinaus, stieg aus, um die Tore wieder zu schließen, und startete anschließend den zweiten Motor. Er warf einen Blick über den Flugplatz. Für diese Maschine war die Graspiste verdammt knapp, die als Start- und Landebahn diente. Es hatte alle seine politischen Verbindungen gebraucht, um die Sondergenehmigung zu erhalten, doch nicht umsonst hatte er über lange
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